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Das Orakel vom Berge

Das Orakel vom Berge

Titel: Das Orakel vom Berge
Autoren: Phillip K. Dick
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Wie so oft, hatte das Orakel jene viel fundamentalere Frage geahnt und in seiner Antwort auf die andere es auch auf sich genommen, eine Antwort zu jener unterschwelligen Frage zu geben.
    »Wie wir wissen«, sagte Mr. Tagomi, »bringt Mr. Baynes uns einen detaillierten Bericht über neue Kunststoffspritzverfahren, die in Schweden entwickelt wurden. Sollte es uns gelingen, einen Vertrag mit seiner Firma zu schließen, könnten wir zweifellos viele im Augenblick sehr seltene Metalle durch Plastikprodukte ersetzen.«
    Der Pazifik hatte jahrelang versucht, im Bereich der synthetischen Werkstoffe Unterstützung vom Reich zu bekommen. Aber die großen deutschen Chemiekartelle, insbesondere IG-Farben, hatten ihre Patente gehütet, hatten sogar ein Weltmonopol in Plastikprodukten geschaffen, insbesondere in der Entwicklung der Polyester. Damit hatte das Reich den Vorsprung gegenüber dem Pazifik bewahrt und war ihm in der Technik wenigstens zehn Jahre voraus. Die interplanetarischen Raketen, die die Festung Europa verließen, bestanden vorwiegend aus hitzeunempfindlichen Plastikwerkstoffen von sehr leichtem Gewicht, so daß sie selbst größere Meteoreinschläge überstanden. Mr. Tagomi erinnerte sich an die letzte Autoausstellung, bei der er ein völlig aus synthetischen Stoffen bestehendes Automobil gesehen hatte, den D.S.S. – ›Der Schnelle Spuk‹, der in der Währung der PSA etwa sechshundert Dollar kostete.
    Aber die Frage, die ihn viel mehr beschäftigte und die er nie den Pinocs verraten würde, die sich in den Büros der Handelsmission herumtrieben, befaßte sich mit einem Aspekt des Mr. Baynes, den das ursprüngliche Chiffretelegramm von Tokio angesprochen hatte. Zunächst waren Chiffretelegramme etwas Besonderes und befaßten sich üblicherweise mit Fragen der Sicherheit, nicht mit geschäftlichen Dingen. Und darüber hinaus löste sich die Chiffre in eine Metapher, benutzte also poetische Anspielungen, eine Art der Verschlüsselung, die man gebrauchte, um die Abhörstationen des Reiches zu verblüffen – jene Stationen, die durchaus imstande waren, jeden beliebigen Code, ganz gleich wie kompliziert, zu entziffern. Also dachten die Behörden in Tokio ganz eindeutig an das Reich, nicht an scheinbar illoyale Cliquen auf den Heimatinseln. Der Schlüsselsatz ›Entrahmte Milch in seiner Diät‹ bezog sich auf Pinafore, auf jenes gespenstische Lied, das die Doktrin ausbreitete. »… Die Dinge sind selten das, was sie scheinen. Entrahmte Milch verkleidet sich als Sahne.« Und das I Ching hatte, als Mr. Tagomi es konsultiert hatte, seine Einsicht bestätigt. Sein Kommentar lautete:
    Man unterstellt hier einen starken Mann. Zwar paßt er sich seiner Umgebung nicht an, insoweit, als er zu brüsk ist und zu wenig auf Formen achtet. Aber er ist aufrechten Charakters, er reagiert…
    Die daraus zu gewinnende Einsicht war einfach die, daß Mr. Baynes nicht war, was er zu sein vorgab, was er schien; sein Besuch in San Francisco diente also nicht der Unterzeichnung eines Vertrages über Spritzformen. Mr. Baynes war in Wahrheit ein Spion.
    Aber was für ein Spion, für wen oder was, konnte Mr. Tagomi sich nicht vorstellen.
    Um ein Uhr vierzig an diesem Nachmittag sperrte Robert Childan höchst unwillig die Tür seines Ladens ab. Er schleppte seine schweren Musterkoffer zur Straße, winkte ein Pedotaxi herbei und sagte dem Chink, er solle ihn zum Nippon Times Gebäude bringen.
    Der Chink, hager, schwitzend, vornübergebeugt, hauchte unterwürfig und begann, Mr. Childans Koffer einzuladen. Dann half er Mr. Childan, selbst auf dem mit Teppich ausgeschlagenen Sitz Platz zu nehmen, schaltete die Uhr ein, stieg in den Sattel und strampelte zwischen den Autos und Bussen über die Montgomerystreet.
    Childan hatte den ganzen Tag damit verbracht, etwas für Mr. Tagomi zu finden. Bitterkeit und Angst quälten ihn, als er auf die vorbeiziehenden Gebäude blickte. Und dennoch, gleichzeitig – Triumph. Er hatte das Richtige gefunden. Mr. Tagomi würde zufrieden sein, und sein Klient – wer immer auch es war – würde ein hohes Maß an Freude empfinden.
    Ich stelle meine Kunden immer zufrieden, dachte Childan. Alle.
    Wie durch ein Wunder war es ihm gelungen, eine beinahe neuwertige Kopie von Band 1, Nr. 1 der Tip-Top-Comics zu beschaffen. Das Heft stammte aus den Dreißigern, eines der ersten Comic - Hefte, ein unbezahlbares Stück, für das mancher Sammler seine rechte Hand gegeben hätte. Natürlich hatte er auch andere Stücke, die
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