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Das Orakel vom Berge

Das Orakel vom Berge

Titel: Das Orakel vom Berge
Autoren: Phillip K. Dick
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er vorher zeigen würde. Er würde sich langsam auf das Bilderheft hinarbeiten, das wohlgeschützt in einem ledernen Etui, in einer Hülle aus Seidenpapier im größten Koffer ruhte.
    Das Radio des Pedotaxi plärrte volkstümliche Melodien und wetteiferte mit den Radios der anderen Taxis, Autos und Busse. Childan hörte den Lärm überhaupt nicht; er war daran gewöhnt. Er registrierte auch die riesigen Neonschriften nicht, deren permanente Leuchtschriften die Fassade praktisch eines jeden Gebäudes verdeckten. Schließlich hatte er seine eigene Neonschrift; des Nachts flackerte sie mit all den anderen in der Stadt beständig auf und ab. Wie sollte man auch sonst für sich werben? Schließlich mußte man realistisch sein.
    Genaugenommen schläferte der Verkehrslärm ihn sogar ein, überdeckte seine inneren Sorgen. Und es war angenehm, von einem anderen menschlichen Wesen über die Straße gezogen zu werden, das Muskelspiel des Chink in der Form regelmäßiger Schwingungen zu spüren; eine Art Entspannungsmaschine, überlegte Childan. Gezogen zu werden, statt selbst ziehen zu müssen. Und – wenn auch nur für einen Augenblick – selbst eine höhere Position als der andere einzunehmen.
    Voll Schuldgefühl rüttelte er sich wach. Er mußte zu viel planen, jetzt war nicht die Zeit für einen Mittagsschlummer. War er auch absolut passend angezogen, um das Nippon Times Gebäude zu betreten? Wahrscheinlich würde er in dem Schnellift ohnmächtig werden. Aber er hatte Tabletten gegen Übelkeit mitgenommen, ein deutsches Produkt. Die verschiedenen Anredeformen… er kannte sie. Wen man höflich behandeln mußte und wen grob. Dem Pförtner, dem Liftboy, der Empfangsdame gegenüber mußte man brüsk sein, gegenüber jeder Hilfsperson. Und vor jedem Japaner hieß es natürlich, sich verbeugen, selbst wenn das Hunderte von Verbeugungen bedeutet. Aber die Pinocs … ein nebelhafter Bereich. Eine Verbeugung, ja, aber ansonsten mußte man geradewegs durch sie hindurchsehen, so, als gäbe es sie nicht. War damit jede Situation klar? Was, zum Beispiel, wenn er irgendeinen Ausländer sah, der zu Besuch da war? In den Handelsmissionen konnte man oft Deutsche sehen und manchmal auch Neutrale.
    Und dann bestand noch die Möglichkeit, daß er einen Sklaven sah. Deutsche Schiffe oder Schiffe aus dem Süden legten im Hafen von San Francisco an, und gelegentlich ließ man die Schwarzen auf kurze Zeit heraus. Immer in Gruppen von zwei, höchstens drei. Und nach Einbruch der Nacht durften sie sich nicht auf der Straße sehen lassen; selbst nach pazifischen Gesetzen mußten sie sich an den Zapfenstreich halten. Aber dann wurden in den Docks auch Sklaven ausgeladen, und diese lebten dann dauernd an Land, in Hütten, am Pier, unmittelbar über dem Wasser. In den Büros der Handelsmission würden keine sein, aber wenn gerade welche ausgeladen wurden – sollte er, zum Beispiel, seine Taschen selbst zu Mr. Tagomis Büro tragen? Natürlich nicht. Er würde einen Sklaven finden müssen, selbst wenn er eine Stunde warten mußte, selbst wenn das bedeutete, daß er zu spät zu seiner Verabredung kam. Nein, wenn ein Sklave sah, daß er seine Koffer selbst trug, würde er auf alle Zeiten seinen Rang verlieren. Dabei, dachte Childan, würde es mir in gewissem Sinne sogar Spaß machen, am hellichten Tag meine eigenen Koffer ins Nippon Times Gebäude zu tragen. Was für eine große Geste. Eigentlich auch nicht gegen das Gesetz; man würde mich nicht ins Gefängnis schicken. Und ich würde meine echten Gefühle zeigen, aber…
    Ich könnte es tun, dachte er, wenn da nicht diese verdammten schwarzen Sklaven herumlungerten; ich könnte es sogar ertragen, daß jene, die über mir stehen, mich sehen, ihren Zorn ertragen – schließlich demütigen sie mich jeden Tag. Aber daß jene unter mir mich sehen, daß ich ihre Verachtung ertragen muß… wie dieser Chink zum Beispiel, der vor mir in seine Pedale tritt. Wenn ich kein Pedotaxi genommen hätte, wenn er gesehen hätte, wie ich zu Fuß zu einer geschäftlichen Verabredung gehe…
    Schuld an dieser Situation hatten die Deutschen. Ihre ewige Tendenz, mehr in den Mund zu nehmen, als sie verdauen konnten. Schließlich hatten sie gerade mit Mühe den Krieg gewonnen, und da hatten sie auch schon anfangen müssen, das Sonnensystem zu erobern, während sie zu Hause Gesetze erließen… nun, die Idee zumindest war gut. Schließlich hatten sie mit den Juden und Zigeunern und den Bibelforschern Erfolg gehabt. Und die
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