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Das Orakel vom Berge

Das Orakel vom Berge

Titel: Das Orakel vom Berge
Autoren: Phillip K. Dick
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Schwarzen, der Gepäck getragen hatte und jetzt frei war. Childan rief sofort: »Träger!«
    Der Schwarze kam grinsend auf ihn zugetrottet.
    »Ins zwanzigste Stockwerk«, sagte Childan mit seiner unfreundlichsten Stimme. »Suite B. Sofort.« Er deutete auf die Koffer und ging auf die Tür des Gebäudes zu. Natürlich sah er sich nicht um.
    Unmittelbar darauf wurde er in einen der Schnellifte gedrängt; rings um ihn standen hauptsächlich Japaner, und ihre sauberen Gesichter glänzten im grellen Licht der Kabine. Und dann das Klicken der Stockwerke, die Übelkeit erregende Bewegung des Lifts. Er schloß die Augen, stemmte die Füße gegen den Boden, schickte ein Stoßgebet zum Himmel, daß die Reise schnell zum Ende kommen möge. Der Schwarze hatte die Koffer mit einem Dienstbotenaufzug nach oben befördert. Es wäre undenkbar gewesen, ihm hier Zutritt zu gewähren. Genaugenommen – Childan schlug die Augen auf und sah sich kurz um – er war einer der wenigen Weißen in dem Lift.
    Und als die Liftkabine ihn im zwanzigsten Stockwerk entließ, verbeugte Childan sich in Gedanken bereits und bereitete sich auf das Zusammentreffen in Mr. Tagomis Büro vor.

3
     
     
    Als die Sonne unterging, sah Juliana Frink den Lichtpunkt am Himmel einen feurigen Bogen beschreiben und im Westen verschwinden. Eines dieser Nazi-Raketenschiffe, sagte sie sich. Unterwegs zur Küste. Voll Bonzen. Und hier unten ich. Sie winkte, obwohl das Raketenschiff natürlich schon lange verschwunden war.
    Schatten drängten von den Rockies herein. Blaue Berggipfel, die die Nacht einhüllte. Ein Flug langsamer Vögel, Zugvögel, flatterte parallel zu den Bergen dahin. Die Lichter einer Tankstelle. Häuser. Scheinwerfer von Autos.
    Seit Monaten lebte sie jetzt in Canyon City, Colorado. Sie war Judolehrerin. Ihr Arbeitstag war zu Ende, und sie schickte sich an zu duschen. Sie war müde. Alle Duschen waren von Kunden besetzt, also mußte sie draußen in der Kälte warten, konnte den Duft der Bergluft und die Stille genießen. Alles, was sie jetzt hörte, war das schwache Murmeln von dem Frikadellenstand unten an der Straße. Zwei mächtige Diesellastzüge parkten dort. Man sah ihre Fahrer im Zwielicht aussteigen und ihre Lederjacken anziehen, ehe sie den Imbißstand betraten.
    Ist Diesel nicht aus einem Kabinenfenster gesprungen? dachte sie. Hat er nicht auf einer Seereise Selbstmord begangen? Vielleicht sollte ich das auch tun. Aber hier gab es keine See. Aber einen Weg gibt es immer. Eine Nadel, die man sich in die Brust steckt, zum Beispiel – und dann Lebewohl, Frink. Das Mädchen, das keinen Angreifer fürchten muß, das immer aufrecht geht. Oder der Tod durch die Auspuffgase eines Wagens in einer Straßenstadt.
    Das habe ich von den Japanern gelernt, dachte sie. Ein gleichgültiges Verhältnis zum Tod und Judo, mit dem man Geld verdient. Gelernt, wie man tötet, gelernt, wie man stirbt. Yang und Yin. Aber das liegt jetzt hinter mir; das ist ein protestantisches Land.
    Es war gut, die Naziraketen am Himmel vorbeiziehen zu sehen, vorbeiziehen, ohne anzuhalten, ohne Interesse für Canyon City, Colorado zu zeigen, ohne Interesse auch für Utah oder Wyoming oder den östlichen Teil von Nevada, ohne Interesse für irgendeinen der offenen, freien Wüsten- oder Weidenstaaten. Wir haben keinen Wert, sagte sie sich. Wir können unser armseliges Leben allein leben. Wenn wir wollen.
    Eine der Türen zu den Duschkabinen öffnete sich. Ein undeutlicher Umriß, die breite Miss Davis, mit dem Duschen fertig, angezogen, die Handtasche unter dem Arm. »Oh, haben Sie gewartet, Mrs. Frink? Tut mir leid.«
    »Schon gut«, meinte Juliana.
    »Wissen Sie, Mrs. Frink, Judo hat mich so viel gelehrt. Mehr als Zen. Das wollte ich Ihnen sagen.«
    Juliana nickte bloß. Aber Miss Davis war nicht abzuschütteln. »Haben die Ihnen sehr weh getan?«
    »Wer?«
    »Die Japs. Ehe Sie gelernt haben, sich selbst zu verteidigen.«
    »Es war schrecklich«, sagte Juliana. »Sie sind nie an der Küste gewesen. Dort, wo die sind.«
    »Ich habe Colorado nie verlassen«, sagte Miss Davis. Ihre Stimme klang furchtsam und unsicher.
    »Es könnte hier auch geschehen«, sagte Juliana. »Die könnten beschließen, dieses Land hier ebenfalls zu besetzen.«
    »Aber jetzt doch nicht mehr.«
    »Sie wissen nie, worauf die plötzlich kommen«, sagte Juliana. »Die halten ihre wahren Gedanken verborgen.«
    »Was – wozu haben die Sie gezwungen?« Miss Davis preßte die Handtasche mit beiden Händen an
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