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Das Nebelhaus

Das Nebelhaus

Titel: Das Nebelhaus
Autoren: Eric Berg
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fährst doch sowieso die ganze Zeit im Fünften«, erwiderte Yasmin, fand ihre Bemerkung aber sogleich zu patzig und streichelte Leonies Wange. »Danke, dass du uns abgeholt hast. Du hast die ganze Fahrerei am Hals. Seit wie vielen Stunden bist du jetzt schon unterwegs? Sieben? Mann, echt tapfer. Ich habe gar keinen Führerschein, komme fast nie aus Berlin raus. Im Sommer fahren die Group und ich manchmal mit der S-Bahn ins Umland, Richtung Strausberg und so, campen an einem Waldsee. Dort machen wir dann Musik für die Kormorane.«
    »Group?«, fragte Leonie hörbar ohne brennendes Interesse.
    »Die Group, das sind Kila, Yogi, Sokrates, Kimmi, Leila, Surinam und Jonny. Jonny ist mein Freund, also ich meine, wir sind ein Paar, Männlein und Weiblein und so. Surinam und Kila spielen Panflöte, Sokrates Gitarre, Leila und Kimmi singen. Ich habe die Rassel, ich kann sonst nix. Yogi macht nicht mit, aber sie kann Reiki. Das will ich unbedingt lernen. Wir haben alle Jobs, na ja, mehr oder weniger. Nicht dass ihr denkt, ich bin obdachlos oder so, ich arbeite vormittags in einem Esoterikladen, aber nachmittags wird gequatscht. Dann ist Kreativität angesagt, Musik machen in Fußgängerzonen und natürlich malen. Timo hat die Group neulich kennengelernt.«
    Timo, der hinten saß, erinnerte sich an die Begegnung – vor allem an die Hunde, die in ihrer bedingungslosen Anhänglichkeit glücklich und traurig zugleich gewirkt hatten. Von der Group waren ihm hauptsächlich die exotischen Piercings in Erinnerung geblieben – wo die kleinen Dinger überall hineingesteckt werden konnten, war unglaublich.
    Unvergesslich waren ihm auch die riesigen Kreidebilder von fantastischen Landschaften, die Yasmin und Jonny gemeinsam auf das Pflaster malten. Die Bilder waren eine optische Mischung aus Caspar David Friedrich und der Explosion einer Tüte Bonbons. Daneben thronte ein goldfarbener Buddha von der Größe eines Gartenzwerges und sah in seiner lächelnden, unendlichen Güte aus wie ein benebelter Trunkenbold. Drei-, viermal am Tag vertrieb das Ordnungsamt ihn zusammen mit der ganzen Group.
    So ungewohnt es für Timo gewesen war, zwischen Panflöte spielenden, gepiercten Jungs und Mädels in Military-Klamotten zu sitzen – er hatte sich erstaunlich wohlgefühlt. Die Leute, deren Namen so exotisch waren wie ihre Frisuren, hatten ihn mit einer Selbstverständlichkeit auf ihre Decken eingeladen, zu der kein Mensch mit Haustür imstande wäre. Als sie gehört hatten, dass er Autor war, fragten sie ihm Löcher in den Bauch, was er sehr genoss. Er hatte nur selten Gelegenheit, über seine Bücher zu sprechen, denn sie verkauften sich nicht so, wie er es sich wünschte, und das war ein schlechtes, bohrendes Gefühl in der Magengrube. Yasmin und ihre Freunde scherten sich jedoch nicht um Zahlen, sie feierten ihn eine halbe Stunde lang wie ein vom Montmartre herabgestiegenes Mitglied der Bohème. Das war eine verdammt wohltuende Schnellkur gegen Zweifel und zugleich eine Vitaminspritze gegen den Mangel an Selbstvertrauen.
    Aber nicht nur deshalb war er gleich mit Yasmin warm geworden. Sie war eine amüsante Mischung, so als bestünde sie aus drei Frauen. Sie trug die Frisur eines Punks, die Kleidung eines Marlboro-Girls und den Schmuck einer Wahrsagerin, was ihn als Autor, der gerne auf originelle Menschen traf, völlig faszinierte. Außerdem war sie ein »lieber Kerl«, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Sie hatte ihm erzählt, dass sie noch nicht einmal Stechmücken erschlug, das sei nämlich schlecht fürs Karma – und für das nächste Leben sowieso.
    Plötzlich ließ Yasmin das Seitenfenster herunter, streckte den Kopf bei voller Fahrt ins Freie, reckte die Faust und rief: »Zieht euch warm an, ihr Hiddenseer. Die Grüne Zora kommt.«
    Leonie suchte über den Innenspiegel Blickkontakt mit Timo. Aber Timo lächelte über Yasmins Verrücktheit, und kurz darauf lächelte auch Leonie.
    Yasmin lachte. Sie hatte die rauchig-raue Stimme einer Soul-Sängerin, brachte aber keine zwei Töne hintereinander zusammen, ohne dass die sich gerieben hätten. Irgendwie hörte sie sich immer heiser an.
    »Haha. Erinnert ihr euch noch?«, rief Yasmin. »Grüne Zora. So haben wir uns damals genannt.«
    »Wenn ich mich recht erinnere, hast du uns so genannt«, erwiderte Leonie.
    »Scheiße, ist das lange her.«
    »Allerdings«, bestätigte Leonie. »Bist du immer noch eine Demo-Queen, so wie
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