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Das Nebelhaus

Das Nebelhaus

Titel: Das Nebelhaus
Autoren: Eric Berg
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nichts machen, es gibt Schlimmeres. Übrigens sehen sie alle aus wie gealterte Tennislehrer. Vielleicht sind deine Eigentlich-Nicht-Freunde ja unterhaltsamer. Ich hab dich neulich schon mal gefragt, aber da bist du mir ausgewichen. Nun sag schon, woher kennt ihr euch?«
    »Ach, wir haben ein paar blöde Sachen gemacht.«
    Vev wartete kurz, dann sagte sie: »Könntest du das bitte ein bisschen knapper und allgemeiner schildern?«
    Er schmunzelte. »Tut mir leid. Es ist nur so … so … Es klingt bescheuert. Aber damals … Wir sind zum Beispiel in eine Nerzfarm eingebrochen und haben die Tiere befreit.«
    » Du bist in eine …?« Sie lachte. »Philipp Lothringer, der Retter von tausend Nerzen und Schrecken aller Millionärsgattinnen. Unfassbar.«
    »Wir haben auch Hühner aus Käfigen geholt, Transparente über das Waldsterben an Industrieschornsteinen entrollt, Fabrikmauern mit Öko-Parolen besprüht, waren auf etlichen Demos …«
    Philipp fand in seinem Gedächtnis Bilder aus einem scheinbar anderen Universum, dem der Jugend: eine schnurgerade Bahnschiene, die aus dem Morgengrauen zu kommen scheint, Dunst weht über den Damm, die Frühkälte kriecht durch den Anorak, und tausend Vögel verteidigen ihr Revier mit Liedern. Er und die anderen, an die Schienen gekettet, beginnen zu singen und blicken unentwegt in die Richtung, aus der der Zug mit dem letalen Material herankriechen soll. Doch alles, was erscheint, ist ein Feldhase, der erst in das Dickicht flüchtet, als eine Hundertschaft eintrifft. Hundert Knüppel gegen acht gefesselte Hände. Yasmin zappelt wie eine Irre, schreit »Scheißbullen!«. Sie hat die härtesten Ketten besorgt, die sie finden konnte, und triumphiert, als herkömmliche Werkzeuge versagen.
    Plötzlich ist das Zischen eines Schneidbrenners zu hören, und eine kleine blaue Flamme durchsticht den Morgendunst. Ein Polizist, eingehüllt wie ein schwarz uniformierter Astronaut, macht sich daran, Philipps stählerne Fessel zu durchtrennen. Kaum hat er damit angefangen, tritt Yasmin ihm – ob absichtlich oder aus Versehen, das sollte später Gegenstand eines Gerichtsverfahrens wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt sein – gegen das Bein, er strauchelt, und die Flamme rutscht einmal quer über Philipps Handgelenk.
    Philipp befühlte die dünnen, kaum noch sichtbaren Narben, und ein Zucken lief ihm übers Gesicht, als wäre der brennende Schmerz zurückgekehrt. Doch Verursacher war weder die Narbe noch die verbrannte Hand, sondern der Gedanke, der ihn damals mit einer ihm unbekannten Heftigkeit durchzuckt hatte: scheiß Yasmin.
    »Wie lange habt ihr eure Streiche gespielt?«, fragte Vev.
    »Etwas mehr als zwei Jahre. Ich war damals kurz davor, mein Studium abzubrechen und mich ganz der Protestbewegung zu verschreiben.«
    »Der Protestbewegung gegen was?«
    »Irgendwie gegen alles. Mitte der Neunziger hatte ich das Gefühl – wir alle hatten es –, dass sich die Welt nur noch um Ausbeutung dreht. Du weißt schon, Durchmarsch des Neoliberalismus, Umweltverschmutzung, ungerechte Verteilung der irdischen Güter, Armut und so weiter. Ich war siebenundzwanzig und wollte etwas tun, das … Ich weiß nicht, irgendetwas, das die Welt besser macht. Yasmin und Timo ist es wohl genauso gegangen. Yasmin war die engagierteste von uns, sie hat uns nicht zur Ruhe kommen lassen, hatte eine verrückte Idee nach der anderen. Ich war der Älteste und der Planer, Timo war der Jüngste und Mutigste. Er ist als Erster durch die Fenster gestiegen oder die Schornsteine raufgeklettert – ein echter Draufgänger. Was Leonie angeht … Ich habe nie ganz verstanden, warum sie sich uns angeschlossen hat. Sie hat bei allem ohne Murren mitgemacht, aber … Ich fand trotzdem, dass es bei ihr nur aufgesetzt war. Sie war irgendwie seltsam.«
    »Warum seid ihr auseinandergegangen?«
    »Wie das so ist im Leben. Ich habe mein Architekturstudium abgeschlossen und sofort einen tollen Job in Rostock bekommen. Timo hat zur gleichen Zeit ein Auslandssemester eingelegt. Was mit den anderen war, weiß ich nicht. Wir haben uns einfach so aus den Augen verloren, ohne besonderen Grund.«
    Nach einem Moment des Schweigens sagte Vev: »Ich kann es noch immer nicht glauben: Mein Mann war mal Revolutionär. Das ist, als wäre der Papst früher bei den Hells Angels gewesen.«
    Etwas an diesem Kommentar ärgerte Philipp. Für einen Moment sah er sich mit ihren Augen, erinnerte sich an sein Spiegelbild: die Geheimratsecken, die sich an seinen
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