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Das Nebelhaus

Das Nebelhaus

Titel: Das Nebelhaus
Autoren: Eric Berg
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Schläfen entlangfrästen und sein braunes Haar vernichteten, der Schmerbauch, der sich mit Gemütlichkeit panzerte, das leicht aufgequollene, gutbürgerliche Gesicht, in dem man die Jugend vergeblich suchte. Zwar hatte er mit dem Protestler von damals in etwa noch genauso viel zu tun wie mit einer Jugendliebe, mit der man mal gekuschelt hat, aber er bestand darauf, dass er sich einen Teil seiner Verwegenheit bis heute bewahrt hatte.
    Im ersten Moment wollte er – mehr um sich selbst als Vev zu überzeugen – etwas erwidern wie: Na ja, sooo sehr habe ich mich nun auch wieder nicht verändert. Doch dann fiel sein Blick auf Clarissa, und er machte sich Sorgen.
    »Sie ist ganz schön nahe am Wasser«, sagte er.
    »Wir sind hier auf einer kleinen Insel, da lässt sich Nähe zum Wasser nicht vermeiden.«
    »Aber das ist gefährlich.«
    »Ist es nicht, ich habe sie die ganze Zeit über im Auge behalten.«
    »Ich hole sie lieber. Ich mag es nicht, wenn sie zu weit weg ist.«
    In diesem Moment wurde der Anlegesteg ausgefahren, und Timo, Leonie und Yasmin kamen von Bord.
    »Hallo, ich bin Vev Nachtmann, Philipps Frau. Philipp ist dort drüben, er kommt gleich. Er passt auf, dass unsere fünfjährige Tochter nicht im zwanzig Zentimeter tiefen Wasser ertrinkt.« Sie gab Timo und Leonie, die als Erste den Steg verließen, die Hand. »Ich freue mich, euch kennenzulernen. Philipp hat mir wilde Geschichten erzählt, und ich will natürlich wissen, ob er mir einen Bären aufgebunden hat. Wir duzen uns doch, oder?«
    »Klar«, sagte Timo. »Übrigens – Vev klingt schön. Wovon ist es die Abkürzung?«
    »Getauft bin ich auf den entzückenden Namen Genoveva. Meine Mutter hatte im Kindbett ein Märchenbuch gelesen, Medikamente taten das Übrige – und Simsalabim hieß ich Genoveva. Im reifen Alter von neun Jahren habe ich dann beschlossen, den Namen scheußlich zu finden. Vev wird mit zwei V geschrieben, gesprochen wird es vorne mit weichem und hinten mit scharfem V, also Wehf.«
    »Also, ich finde den Namen Genoveva geil«, sagte Yasmin, die inzwischen als Letzte von Bord gekommen war. »Das ist gälisch, oder? Eine alte keltische Sprache. Wie der Zufall es will, habe ich als Mitbringsel für euch eine Kette mit einem keltischen Symbol in der Tasche. Nein, das ist bestimmt kein Zufall. Wir sind Seelenverwandte. Darf ich dich Genoveva nennen? Ich bin Yasmin.«
    Vev lächelte und streckte ihr die Hand entgegen. »Hallo, Yasmin, ich bin Vev.«

3
    Das kambodschanische Restaurant in der Handjerystraße verzichtete auf übertriebene Folklore. Lampions und Jadefiguren waren spärlich vorhanden und dezent verteilt über den großen Raum, der es dennoch schaffte, asiatisches Flair auszustrahlen. Die einzelnen Tische waren durch kunstvoll geschnitzte Holzgeländer optisch voneinander getrennt, die Stühle und Sessel waren aus den Rohren der Wasserhyazinthe geflochten, und der Boden war mit weichen Strohmatten ausgelegt. Blickfang war eine große Fototapete, die den dunstigen Mekong an einem Spätnachmittag zeigte, mit einer träge gleitenden Sonne, einer Dschunke und einer nostalgischen Passagierfähre auf den Wassern.
    Doro fühlte sich an die Atmosphäre einer Bar im Indochina der Dreißiger und Vierziger erinnert, obwohl sie sich noch nie an einem solchen Ort befunden hatte. Das mochte auch an dem monumentalen nostalgischen Deckenventilator liegen, der die Augustschwüle milderte, sowie an den Chansons, die in gedämpfter Lautstärke die Gespräche der Gäste untermalten.
    Das Publikum war gemischt: Berliner Paare, die voller Amüsement die Speisekarte lasen, vier junge amerikanische Touristen mit geflachsten Haaren, drei Asiaten in Anzügen, ein älterer Herr mit Rauschebart, der dem Reisschnaps frönte. Es war später Mittwochabend, nur ein Viertel der Tische war noch besetzt.
    Ich wandte mich an den Kellner. »Ich bin mir nicht sicher, ob reserviert wurde. Auf den Namen Nan?«
    Der kambodschanische Kellner – ein guter Esser, wie man sehen konnte – verbeugte sich leicht und führte mich durch eine Seitentür in den kleinen Biergarten, in den gerade mal vier Tische passten. Sie waren nicht mehr besetzt, aber die Teelichter in den bunten Gläsern flackerten tapfer vor sich hin und warfen ihren dürftigen Schein auf sattgrüne Bambusstauden, die beim kleinsten Windstoß raschelten.
    »Was möchten Sie trinken?«
    »Ein stilles Wasser, bitte.« Ich hatte leichte Kopfschmerzen und wollte eine Tablette nehmen. »Und eine Tasse Kaffee,
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