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Das Nebelhaus

Das Nebelhaus

Titel: Das Nebelhaus
Autoren: Eric Berg
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scheußliches Verbrechen aufgeklärt, genau genommen zwei, wenn ich Herrn Nans Terror mitzählte. Es mag sich blöde anhören, aber ich hatte in diesem Moment das Gefühl, meinen ermordeten Bruder Benny gerächt zu haben.
    Andererseits war ich verunsichert. Wieso hatte Timo Stadtmüller nicht das kleinste Anzeichen von Unruhe gezeigt, nicht mal als ihm klar geworden sein musste, dass die Polizei bereits unterwegs war? Wieso hatte er sogar bei seinem Abtransport noch gelächelt? Nur weil er jetzt berühmt wurde? Und was hatte er mit der Inspiration gemeint? Er war nicht mehr dazu gekommen, mir davon zu erzählen. Seine Bemerkung ging mir nicht aus dem Kopf.
    »Wer zahlt denn jetzt die Rechnung?«, fragte die Kellnerin traurig.
    »Ich übernehme alles«, beruhigte Yim sie. »Bringen Sie uns bitte zwei doppelte Espressi.« Er griff mir in die Haare, legte mir die Hand auf den Nacken und fragte: »Wie fühlst du dich?«
    »Es geht. Ich bin nur … ein bisschen verwirrt. Ein Espresso ist genau das, was ich jetzt brauche. Und deine Gesellschaft.«
    »Ich bin hoffentlich mehr als nur Gesellschaft.«
    »Bedeutend mehr. Ich bin froh, dass ich dich habe.«
    Bis der Kaffee kam, schwiegen wir. Ich zitterte leicht, Yim hielt meine Hände.
    »Es gibt da etwas, das du noch nicht weißt«, sagte er, und ich bekam plötzlich wahnsinnige Angst, dass er mir etwas sagen könnte, das alles zwischen uns zunichtemachte.
    »Ich war derjenige, der Leonie damals die Pistole zurückgebracht hat. Clarissa hatte sie gestohlen und vergraben, meine Mutter hat sie ausgegraben und mich später gebeten, sie Leonie zu geben. Ich war lange Zeit in dem Glauben, der Mörderin meiner Mutter die Waffe in die Hand gedrückt zu haben. Natürlich, es war der Wille meiner Mutter. Trotzdem hat es mich fertiggemacht. Ich konnte einfach nicht darüber sprechen.«
    Ich verstand ihn sehr gut. »Sobald ich zur Ruhe gekommen bin, erzähle ich dir von meinen Selbstvorwürfen nach dem Tod meines Bruders. Daraus habe ich vor allem eines gelernt, nämlich dass alles, was geschieht, von den besten bis zu den schlimmsten Dingen, aus einer Vielzahl von Handlungen und Bewegungen der verschiedensten Menschen entsteht. Wir können die Folgen unseres Tuns und Unterlassens oft nicht abschätzen, und wir würden wahnsinnig bei dem Versuch, den jeweils nächsten Schritt vorab zu analysieren. Deine Mutter ist nicht gestorben, weil du ihren Auftrag ausgeführt hast. Sie ist vielmehr gestorben, weil ein unglücklich verliebter, dreiunddreißigjähriger Mann mit Minderwertigkeitskomplexen durchgedreht ist.«
    Er lächelte mich an. »Ich werde dir jetzt gleich etwas sagen, das dich schockieren wird. Hoffentlich verstehst du mich nicht falsch: Ich bin froh, dass du einen nahen Familienangehörigen durch ein Verbrechen verloren hast.«
    Auch ich lächelte. »Nein, ich bin nicht schockiert, ich verstehe, was du meinst. Ich verstehe es wirklich.«
    Wir tranken unseren Espresso, und zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass Yim und ich ein Paar waren. Gut möglich, dass er es in meinen Augen sah, denn er lächelte erneut, beugte sich zu mir und küsste mich. Was er und ich durchgemacht hatten, würde sich nie erledigen, es wäre niemals ganz vorbei. Aber es würde von Jahr zu Jahr leichter zu ertragen sein.
    Dass sich die Dinge manchmal sogar verschlimmern, bevor sie besser werden, sollten wir in den folgenden Tagen erfahren. Yims Vater entging der Auslieferung in sein Heimatland, indem er sich erhängte – und wohl nicht zufällig in dem Schuppen seiner Frau. Yim ließ die Blumen im Garten vertrocknen und die Gemälde nach Kambodscha überführen, wo sie ausgestellt wurden.
    Yasmin setzte sich noch am Tag von Timos Verhaftung den Todesschuss. Sie hatte sich, entgegen ihrer sonstigen Praxis, etwas gespritzt. Ob sie von der Aufklärung des Falls gehört hatte und ob sie sich versehentlich oder absichtlich getötet hatte, blieb ungewiss. Nach ihrer Beerdigung erzählte mir ihr älterer Bruder, dass die Familie sie seit der Tragödie von Hiddensee mit einem dicken monatlichen Scheck versorgt hatte, von dem sie ihrer Freundin den Laden und sich selbst die Drogen und den Alkohol gekauft hatte. Gewissermaßen war Yasmin die vorletzte Tote von Hiddensee. Die letzte würde Leonie sein, irgendwann, wenn die Ärzte die Maschinen abschalteten, die sie am Leben hielten.
    Yim verkaufte sein Restaurant und eröffnete wenig später ein Fischrestaurant auf einem Schiff, das auf der Spree vor Anker
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