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Das Nebelhaus

Das Nebelhaus

Titel: Das Nebelhaus
Autoren: Eric Berg
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hätte, an meine Liebe, meine Eroberung. Stattdessen wünschte ich Leonie den Tod. Ich fand in perverser Weise Trost darin, dass ihr Mund durchlöchert, ihre Zunge zerhackt war und sie dadurch der Fähigkeit zur Wahrheit beraubt war. Selbst wenn sie aufwachte: Sie hätte die Wahrheit aufschreiben müssen, und das konnte ich mir nur schwer vorstellen. Außerdem war ihr Gehirn verletzt. Ihre Aussage wäre ohne Aussagekraft. Um solcherlei Abscheulichkeiten kreisten meine Überlegungen wie Fliegen um ein Stück Kuhmist. Wochenlang verbrachte ich im Dreck, im Sumpf, ich watete darin, fraß ihn. Ausspucken durfte ich ihn nicht, schließlich sollte niemand etwas merken.
    Als klar war, dass Leonie vermutlich nie wieder aufwachen würde, bereitete mir Herr Nan zunehmend Sorgen. Er war die letzte Schwachstelle. Ich überlegte mir, ihn umzubringen und es wie Selbstmord aussehen zu lassen, aber ich fürchtete, mein Glück zu sehr zu strapazieren. Einmal war ich davongekommen, aber ein zweites Mal … Damals reiste ich nach Hiddensee, um den Schuppen abzufackeln. Aber wie gesagt, es kam ganz anders. Ich hatte den Benzinkanister schon in der Hand, stand vor dem Schuppen – da hatte ich eine Erleuchtung, eine Inspiration.«
    Da er plötzlich schwieg, nachdem er minutenlang geredet hatte, fragte ich nach: »Welcher Art?«
    Er lächelte. »Ich lasse Sie noch ein bisschen zappeln und erzähle Ihnen erst einmal von dem, was nach der Inspiration passiert ist. Die Gülle lief langsam ab. Ich wurde glücklich mit Vev, sie brauchte mich, verließ sich auf mich. Darum spürte ich auch keinerlei Reue wegen meines Verbrechens, denn ich glaube, dass sie nur dann entsteht, wenn man mit dem, was man getan hat, sein Ziel nicht erreicht hat. Wäre ich damals sofort aufgeflogen, oder wäre das Leben mit Vev die Hölle, würde ich meine Tat bedauern. So jedoch ist die Reue für mich nur ein alttestamentarischer Begriff. Das, was ich getan hatte, wurde unwirklich. Aber wie immer, wenn eine Flüssigkeit aus einem Behältnis abfließt, bleibt ein Rest zurück, der sich an den Wänden und am Boden festhängt. Ein paar Tropfen Gülle sind übrig geblieben, deren Wirkung ich manchmal spüre. Man hat mir gesagt, dass meine kecken Verbalattacken öfter als früher unter die Gürtellinie gehen, dass ich ungeduldiger geworden bin und nicht mehr so viel Spaß verstehe. Niemand ahnt etwas von dem Gift in meinem Blut, das selbst hundert Transfusionen nicht beseitigen könnten. Dabei habe ich noch Glück. Weder sehe ich Gespenster noch träume ich schlecht, noch habe ich den Zwang, mir ständig die Hände zu waschen, so wie Lady Macbeth. Manchmal allerdings, etwa wenn ich meine Hände betrachte, habe ich den Eindruck, sie gehören mir nicht. Trotzdem, ich war fast zwei Jahre lang ein sehr glücklicher Mensch. Ich übertreibe jetzt nicht. So glücklich, dass ich manchmal glaube, ich hätte Vev nur erfunden. Sie hält sich an mir fest wie an einer Boje. Schon immer wollte ich für einen Menschen die ganze Welt sein. Ich habe Vev zerbrochen, und ich habe sie wieder zusammengefügt. Wir leben in einer schönen Maisonettewohnung, gleich um die Ecke, fünf Zimmer. Ich schlafe fast jede Nacht mit Vev. Ehrlich, es hätte kaum besser laufen können. Nun fehlt nur noch mein beruflicher Erfolg. Irritiere ich Sie?«
    »Ich hatte immer die Hoffnung, dass Mörder unglücklich werden.«
    »An diesem Irrglauben sind die vielen amerikanischen Filme und Bücher schuld – und natürlich Leute wie Sie, die sich wünschen, dass Mörder unglücklich und bestraft werden.«
    »Mein Wunsch geht in Erfüllung, Ihre gute Zeit ist vorbei, Herr Stadtmüller«, sagte ich, als sich ein blaues Licht in Intervallen auf dem Tisch und dem Boden des Lokals spiegelte.
    Während ich zu dem Treffpunkt gefahren war, hatten Yim und sein Vater mit der Polizei gesprochen. Zwei Beamte in Zivil und zwei Uniformierte betraten das Café. Yim folgte ihnen.
    »Timo Stadtmüller? Ich bin Hauptkommissar Sperling. Gegen Sie wurde Haftbefehl erlassen. Es besteht der dringende Tatverdacht, dass Sie Clarissa Nachtmann, Philipp Lothringer und Nian Nan ermordet und einen Mordversuch gegen Leonie Korn unternommen haben.«
    »Jetzt«, entgegnete er an mich gewandt, »werde ich berühmt.«
    Die Beamten führten Timo Stadtmüller in Handschellen ab. Es ging alles ganz schnell.
    Ich saß mit Yim an dem Tisch, an dem ich kurz vorher noch mit dem Mörder gesprochen hatte. Einerseits fühlte ich mich gut. Ich hatte ein
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