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Das Mozart-Mysterium

Das Mozart-Mysterium

Titel: Das Mozart-Mysterium
Autoren: Christoph Öhm
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Als er geendigt hatte, schwiegen alle, denn die Lösung war nun offensichtlich: In der Mitte des Grabsteins war eine dekorierte Bronzetafel eingelassen.
    Eine Gänsehaut überzog langsam meinen Rücken: Der Grabstein des alten Bach zeigte den dreiköpfigen Höllenhund, der in Dantes Inferno beschrieben wurde! Außerdem war das Wappen der Societät, das ›Tetraktys‹-Dreieck, in den Stein gemeißelt. All dies war eingearbeitet in eine Darstellung des Jüngsten Gerichtes, mit mancherlei abscheulichen Höllengestalten.
    »Der Stein ist ein Geschenk der Societät«, ließ uns Philipp Emanuel Bach wissen.
    In diesem Moment trat der Diener an das Grab, mit Hammer und Stemmeisen. Philipp Emanuel hatte also bereits das Versteck von Lucchesini erfahren und war vorbereitet. Mozart und ich fingen an, den Stein zu untersuchen.
    Ich hoffte im Stillen, das Versteck sei im Grabstein verborgen, denn die einzige Alternative wäre das Grabmal Bachs selbst. Mozart nahm Hammer und Meißel und hieb damit in den Spalt zwischen bronzener Bildtafel und Steinmantel. Die Tafel bewegte sich! Nachdem er mehrfach das Eisen neu angesetzt hatte, lockerte sich die Tafel vollends und ließ sich hervorziehen. Es handelte sich dabei in Wahrheit um einen Kasten, der mehrere Zoll in den umgebenden Stein hineinragte und nach hinten geöffnet war. In der Aushöhlung lag ein Paket, in Leder geschnürt. Mozart nahm es vorsichtig heraus und reichte es Bach, obwohl wir selbst am dringlichsten des Inhaltes bedurften.
    Bach schnürte das Paket sorgfältig und langsam auf: In seinen Händen lag ein dickes Heft. Er schlug es auf und wandte sich zu uns, seine Stimme zitternd und sichtlich von den Ereignissen gezeichnet. »Dies hier … ist die letzte Mitgliedsgabe meines Vaters, die ›Kunst der Fuge‹, sein letztes und edelstes Werk. Die höchsten Schwierigkeiten der Musik sind darin vereint mit ewiger, zeitloser Schönheit, alle Arten des Kontrapunkts und die ausdrucksvollsten Melodien. Er starb über dem Aufschreiben der Noten; ich selbst übergab das Heft, wie es bestimmt war, kurz danach der Societät. Mizler muss es hier versteckt haben. Mein Vater reichte sogar mehrere Werke als Mitgliedsgaben ein, doch dies war ihm das wichtigste. Schauen Sie nach, ob Sie etwas darin finden.«
    Er übergab Mozart das dicke, querformatige Heft. Dieser blätterte langsam und andächtig darin, blickte kurz lächelnd auf und las vor:
     
    »› Die ideale Melodie muss aus einem Gerüst nahe verwandter Harmonien entstehen ‹.«
     
    »Dieses Gesetz ist zwar eines der kompliziertesten für die Ausführung, aber genau jenes, das auf alle Melodien und Themen in den großartigen Werken des alten Bach zutrifft.«
    Philipp Emanuel trieb uns an: »Auf jetzt, zu Mizler! Wir müssen Ihre Freundin retten!«
     
    Mizlers Gut befand sich außerhalb der Stadt, am Rande des Berghanges. Die Kutschfahrt dauerte nicht lange, doch die Tagesmitte war schon weit überschritten, als wir ankamen. Der Himmel hatte einen kalten Gelbton angenommen. Das Gut erstreckte sich über mehrere hundert Fuß entlang des Hanges. Wir standen vor dem hufeisenförmigen Hauptgebäude, doch es gab zahlreiche kleinere Häuser nebenan, sicherlich Stallungen und Räume für die Bediensteten. Hinter den Häusern zog sich auf drei Terrassen ein Weinberg den Hang hinauf.
    Kein Mensch erschien, als wir die Kutsche verließen. Bachs Diener trat vor und klopfte mit dem schweren, eisernen Ring an der Flügeltür.
    Nichts geschah. Nach längerer Zeit sprang die Tür unvermittelt auf und öffnete sich langsam und wie von Geisterhand. Niemand war zu sehen. Der kraftvolle Diener trat zuerst über die Schwelle.
    Ich bemerkte nebenbei, dass schon die Dämmerung einsetzte und im Fenster über der Eingangstür ein heller Schimmer sichtbar wurde, wohl von einer kleinen Öllampe herrührend.
    Der Diener verschwand im Haus. Ich hörte einen gedämpften Schrei, dann kehrte Stille ein. Mit einem Knall fiel die Tür wieder ins Schloss. Wir mussten handeln! Ich rannte zu der massiven, schweren Holztür und versuchte, sie zu öffnen, ohne Erfolg. Ich flüsterte Mozart und Bach zu, dass wir uns aufteilen und das Haus umrunden sollten.
    In der Deckung der Büsche, die rings um das große Gebäude standen, bewegten wir uns zur Rückseite des Hauses. Bach ging links herum, Mozart und ich rechts. Die Dämmerung half uns zudem, möglichen Blicken der Hausbewohner zu entgehen.
    Ich ging voraus, mit gezücktem Degen. Es waren Stimmen zu hören.
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