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Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus
Autoren: Paulus Hochgatterer
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Zimmerkollegin dabei fotografieren lassen und die ganze Aktion über den Patientencomputer ins Internet gestellt. Dazu habe sie schriftliche Kommentare abgegeben: So wichtig nehme man an der Psychiatrie in Furth die Patienten, das Elend der Menschen sei den Ärzten sowieso egal, und so fort. Die Zimmerkollegin habe fürs Knipsen abkassiert und es dann doch verraten, was Sabrina gar nicht recht gewesen sei.
    »Daraufhin hat sie gebrüllt«, sagte Horn.
    »Wieso gebrüllt? Sie hat nicht gebrüllt.«
    Man habe von außerhalb jemanden brüllen gehört. Er erzählte von seiner Begegnung mit Fuhrmann. Karin grinste plötzlich. »Es war Raimund«, sagte sie, »er hat gebrüllt.« Raimund habe sich über die Publikation des Blutbades von Anfang an ziemlich geärgert, und als er dann noch gesehen habe, dass er in Sabrinas Kommentaren namentlich genannt wurde, habe er ein wenig die Kontrolle verloren.
    »Was schreibt sie über ihn?«
    »Dass er ein Streber mit Pferdeschwanz ist.«
    Horn musste ebenfalls grinsen. Karin hob den Kopf. »Ja, ich weiß, das stimmt auch«, sagte sie, »aber sie hat noch etwas geschrieben.«
    »Und zwar?«
    Sie stand auf, trat vor den Rollcontainer mit den Krankengeschichten und zog die Hängemappe mit Sabrinas Akte heraus. »Sie finden es unter Laufende Dokumentation«, sagte sie.
    Es waren insgesamt sieben Seiten Internetausdruck, jeweils Foto plus Kommentar. Ein gezeichnetes rotes Herz, in dessen Mitte eine Rasierklinge liegt. Hier drin begreifen sie gar nichts. Ein Mädchen, das auf dem weißen Fliesenboden eines Badezimmers hockt, versunken wie jemand, der sich einen Schuss Heroin setzt, und sich in den Unterarm schneidet. Man kann sich hier umbringen und es ist allen scheißegal. Zweimal die Schnitte in Nahaufnahme. Das Zentrum der Existenz. A kind of heaven. Zwei Sätze, die mit Blut an die Wand geschrieben wurden, Ich sterbe und Fucking Furth. Das Mädchen, das auf dem Rücken in einer Blutlache liegt, die Augen geschlossen, die Arme zur Seite gestreckt. Wichsvorlage für Raimund, den Streber mit dem Pferdeschwanz, der immer einen Steifen kriegt, wenn ich mich schneide.
    Sanguine, sanguine, fiel Horn ein und Irene, die bei Bruckner mit Sicherheit nicht an das Blut dachte, das einem Mädchen von den Unterarmen tropfte. Er steckte die Mappe zurück und stand auf. »Kann ich mit Raimund reden?«, fragte er.
    »Christina hat ihn nach Hause geschickt. Er war total von der Rolle«, antwortete Karin.
    »Und Sabrina?«
    »Liegt im Tiefschlaf. Hrachovec hat sie versenkt.«
    Männersolidarität, dachte Horn. Sie demütigte ihren Bezugspfleger und der Dienstarzt füllte sie mit Medikamenten ab. Er selbst hätte vermutlich nicht anders gehandelt. Manchmal war die Darstellung von Handlungsmacht das Einzige, das einem blieb, auch wenn es nach außen hin nicht so hübsch aussah.
    Er beschloss, Hrachovec nicht anzurufen, und verließ die Station. Im Vorbeigehen sah er, dass Fehring auf seinem Sessel eingeschlafen war. Der Fernseher lief nach wie vor ohne Ton. Am äußersten Rand seines Bewusstseins streifte ihn etwas Unangenehmes. Er bekam es nicht zu fassen.
     
    Vier Personen waren da. Frau Kirschner und das Ehepaar Reintaler saßen im Wartebereich an einem Tisch und tratschten, Kurt Frühwald saß ein Stück abseits, und der grauhaarige Mann, der vor zwei Wochen zum ersten Mal teilgenommen hatte, lehnte an der Wand und tupfte mit einem Stift auf seinem Palmtop herum. Horn hatte sich den Namen des Mannes nicht gemerkt, aber das passierte ihm in letzter Zeit öfter.
    Eine Ansammlung seltsamer Menschen, dachte er, Mütter, Väter, Ehemänner; alle wie direkt aus Fotografien, die Gesichter flach, die Schultern ein wenig zu tief. Warum bin ich hier?, dachte er. Warum sitze ich nicht und schaue dem Habicht zu? Oder freue mich an den Rhododendronblüten? Oder stelle mir vor, wie meine Frau Cello spielt, mit glühenden Ohren und der Zungenspitze zwischen den Lippen?
    Das Licht im Gruppenraum flackerte ganz leicht. Horn ärgerte sich. Er hatte vergessen, den Hauselektriker darauf hinzuweisen. In ein paar Minuten würde jemand sagen: Das Licht flackert aber immer noch, es war unvermeidlich. Es lag jedenfalls nicht an einer einzelnen Leuchte, sondern betraf alle, das war gut zu erkennen. Jemand zapft uns an, dachte er, ich werde sagen, dass jemand Strom aus dem Krankenhaus abzweigt, und man kommt nicht drauf, wer und wo. Er beschloss, zu warten.
    Mehr Männer als Frauen, sagte er zur Eröffnung – das
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