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Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus
Autoren: Paulus Hochgatterer
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gehe, der Tierarzt habe das Zeug aus dem Schrank geholt und es ihn gleich selbst machen lassen, in aller Ruhe, da die Katze noch in der Narkose gelegen sei. Wie er überhaupt auf die Idee mit dem MR gekommen sei, fragte Horn, und Tobias sagte, ein wenig Internet-Recherche und außerdem sei er der Sohn eines Arztes, nur zur Erinnerung.
    Nach den Infusionen werde sie sich am ehesten normal verhalten, habe der Tierarzt gesagt, fressen, herumlaufen, sich putzen, sonst nicht. Tobias hielt die Katze zwischen seinen Händen, bis die Flasche leer war. Dann zog er die Nadel ab, nahm das Tier auf den Arm und ging.
     
    Seltsame Zeiten, dachte Horn und hob eine rote Nacktschnecke vom Rasen auf, mein Sohn stiehlt mir das Auto, meine Frau spielt Stücke, von denen ich nichts weiß, und mir versagt die Wahrnehmung. »Was meinst du damit?«, fragte Irene.
    »Womit?«
    »Dass dir die Wahrnehmung versagt.«
    »Nichts Besonderes«, sagte er, »ich sehe und höre Dinge nicht und ich schätze Menschen falsch ein.« Sie fragte, wen, und er sagte, seine beiden Söhne und gewisse Männer, die sich Sorgen um ihre Frauen machten.
    »Tust du das auch?«, fragte sie. Er fragte, was, sie sagte, sich Sorgen um sie machen, und er sagte, jetzt, da er den Tenor gesehen habe, nicht mehr. Sie lachte. »Wirf endlich die Schnecke weg«, sagte sie.
    Sie sprachen über das Konzert, über seine Überraschung, als er das Programm gelesen hatte, über die Einsatzfehler der zweiten Geigen im Lacrimosa und über den übertriebenen Schmelz des Tenors bei Sanguine, sanguine . Dann sprachen sie darüber, dass es zwischen Geschwistern offenbar etwas gab, auf das die Eltern keinen Zugriff hatten, eine Art Geheimbeziehung, die mit Achtsamkeit zu tun hatte und mit Pflicht. Sie sagte, da sie selbst keine Geschwister habe, fehle ihr der unmittelbare Bezug, und ihm fiel das Tagebuch seiner Schwester ein, das er dann doch aufgebrochen und in dem er eine Passage gefunden hatte, in der es um die Frage gegangen war, ob sie ihren Brüsten Namen geben dürfe. Er hatte danach nie wieder darin gelesen.
    »Weißt du, wohin Tobias gegangen ist?«, fragte sie. Seines Wissens liege er im Stall auf dem Teppich, die Katze auf dem Bauch, und höre unmögliche Musik. Weshalb sie ihn frage. »Ich würde gern einen Blick in sein Zimmer werfen«, sagte sie. Warum, fragte er, und sie antwortete, sie habe das Gefühl, dass das in Zukunft nicht mehr möglich sein werde. »Und du willst nicht einfach riechen, ob er gekifft hat?«, fragte er. Sie grinste. »Er kifft nicht«, sagte sie.
    Sie gingen zwischen den Rhododendronbüschen und dem Beet mit den Pfingstrosen durch in Richtung Hinterhof. Sie blickten sich gleichzeitig um. »Er kommt nicht«, sagte Horn.
    Irene drehte sich mitten im Zimmer ihres Sohnes langsam im Kreis. Das Bett war gemacht, es roch nach gar nichts. Auf dem Schreibtisch stand eine aus Fichtenbrettern gezimmerte Truhe mit Klappdeckel. Sie war gerade so groß, dass eine eingerollte Katze drin Platz hatte. »Wer hat die gemacht?«, fragte sie. »Michael, nehme ich an«, sagte Horn.
    »Weißt du, wofür sie da ist?«
    »Nein, weiß ich nicht«, log er.
     

Dreiundzwanzig
    Der Himmel war knallblau. Der Frühling hat keine Ahnung, dachte Kovacs, weder von Vätern und ihren Töchtern noch von den wirklich schlimmen Dingen. Er zog mit dem Daumen eine Spur durch das Kondenswasser, das außen an seinem Bierglas haftete. Dann griff er in seine Jackentasche und schaltete das Mobiltelefon aus. Es reichte ihm.
    Zuerst hatte Mauritz angerufen, um ihm zu sagen, dass sie das Ergebnis der chemischen Analyse dieses bonbonartigen Dings, das im Mund des Opfers gefunden worden war, völlig ratlos zurückgelassen habe. Es bestehe nämlich hauptsächlich aus Schlangengift. Er hatte geantwortet, ja, genauso, wie er, Mauritz, hauptsächlich aus Muskeln bestehe, und Mauritz hatte gesagt, er meine das ernst.
    Dann war Demski dran gewesen, aus Berlin und trotz seiner überzogenen Abwesenheit ohne die Spur eines Schuldgefühls. »Wir haben ihn«, hatte er gesagt, »er ist eine Randfigur.« Kovacs hatte geantwortet: »Der, den wir haben, ist keine Randfigur«, und Demski hatte gesagt, der Mann, den er meine, trete unter dem Namen eines griechischen Gottes auf. Ich werde ihm seine Blechente stehlen, hatte Kovacs plötzlich gedacht und nach einer Weile war er darüber richtig glücklich gewesen.
     
    Marlene betrat mit Charlotte und einem weiteren Mädchen die Terrasse. Kovacs brauchte einige
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