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Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus
Autoren: Paulus Hochgatterer
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Frau krank geworden sei, habe man sie endgültig zurückschicken müssen. Die Ältere sei noch da und bestehe praktisch ausschließlich aus oppositionellem Verhalten. Sie spreche nichts mehr mit ihm und seiner Frau, besuche die Schule, wie es ihr passe, und sperre sich ganze Tage in ihrem Zimmer ein. Er komme zwar auch aus dieser Ora-et-labora-Gesellschaft wie die meisten anderen und das Ertragen misslicher Umstände sei ihm in Fleisch und Blut übergegangen, aber momentan wisse er nicht mehr, wie er sich verhalten solle. Jetzt wird er ein wenig spürbar, dachte Horn, dort, wo er machtlos ist, kann er seine Arroganz ablegen.
    »Wie alt ist sie?«, fragte Elfriede Kirschner.
    »Dreizehn«, sagte der Mann, »plus zwei Monate.«
    In der Folge sprachen sie ein wenig über die Nöte Pubertierender im Allgemeinen, mehr über jene ihrer Eltern und am ausführlichsten darüber, wie es gewesen war, als man sich selbst mit dreizehn tagelang ins Zimmer zurückgezogen und nicht einmal mehr mittels obszöner Gesten mit der Erwachsenenwelt kommuniziert hatte. Kurt Frühwald erzählte von der mächtigen Position seines Großvaters und Maria Reintaler, wie unerträglich konservativ ihre Mutter in gewissen Details gewesen war, zum Beispiel in der Frisurenfrage. Zwischendurch sagte Elfriede Kirschner plötzlich, es sei ihr peinlich, aber sie habe den Namen des Mannes vergessen, des Herrn Pflegevaters, das sei hoffentlich nicht auch schon das Zeichen einer beginnenden Demenz. »Possner«, sagte der Mann, »Armin Possner«, seine Frau heiße Erika und seine Tochter Fanni, falls man sich das auch merken wolle. Die Stimmung hatte sich überhaupt entspannt, Horn war mit dem Grad an Austausch und gegenseitiger Entlastung, den die Gruppe geleistet hatte, zufrieden, und am Ende drückte er sein Erstaunen darüber aus, dass sich niemand über das Flackern des Lichtes beschwert hatte. »Wir sind diskret und kultiviert«, sagte Max Reintaler. Die anderen lachten.
     
    Zwei Anrufe in Abwesenheit wurden angezeigt, als Horn sein Handy wieder aufdrehte. Tobias und eine unbekannte Nummer. Tobias rief sonst nie an. Horn war schlagartig alarmiert. Epiduralhämatom fiel ihm ein und Gyrus praecentralis.
    »Ist was mit Irene?«, fragte er.
    »Wie kommst du darauf?« Tobias sprach undeutlich.
    »Warum nuschelst du? Hast du schon wieder geschlafen?«
    »Red nicht so blöd. Es betrifft Mimi.« Horn überlief es erneut heiß.
    »Was ist mit Mimi? Hat sie jemand überfahren?«
    »Gott, du hast wirklich einen Hang zur Katastrophe. Sie schaut komisch und manchmal bewegt sie sich, als wäre sie bekifft.«
    »Bekifft?«
    Sie knicke immer wieder ein, erzählte Tobias, und zwar ausschließlich mit dem rechten Hinterbein, er habe das beobachtet. Vor allem falle es auf, wenn sie Hindernisse überwinde. Die Sache mit den Augen sei noch eigenartiger. Er blicke sie an und wisse, dass etwas nicht in Ordnung sei, könne aber nicht sagen, was. »Sie schielt«, sagte Horn.
    »Wie kommst du darauf?«
    »Ich hatte diesen Eindruck. Außerdem ist sie gereizt.«
    »Stimmt. Und was sagt uns das?«
    »Woher soll ich das wissen?«
    »Du bist Arzt. Spezialist für alles, was plemplem ist oder betrunken.«
    Zwischen Katze und Mensch gebe es physiologisch wesentliche Unterschiede, sagte Horn, da brauche es schon den Tierarzt. Da die Sache nicht lebensgefährlich klinge, solle er jedenfalls auf ihn warten. Tobias knurrte und legte auf, einfach so. Trottel, dachte Horn.
    Den Rückweg nahm er über die Gaiswinkler Straße und die Achenallee. Der Himmel über der Stadt war übersät mit orangefarbenen Schäfchenwolken. Die Kammwand im Südwesten hatte einen leuchtend weißen Saum. In den Gärten der Siedlungshäuser wurden Sitzgarnituren aufgebaut und die ersten Windlichter entzündet. Ich sehne mich nach Irene, dachte Horn, nach ihrer Stimme, nach den Geräuschen, die sie macht, wenn sie sich durchs Haus bewegt. Ich will, dass sie da ist, wenn ich jetzt heimkomme. Ich möchte ein Glas Wein mit ihr trinken und meine Nase in ihr Haar stecken. Sie ist meine Frau. Tenöre in ihrer Nähe machen mich nervös.
    Knapp nach der Abzweigung von der Bundesstraße läutete sein Telefon. »Hat sie dich gebissen? Oder knickt sie schon wieder ein?«, fragte er. Die Stimme am anderen Ende war nicht jene von Tobias. Niemand habe sie gebissen, sagte die Frau, glücklicherweise, und auch mit Einknicken sei sie in letzter Zeit nicht konfrontiert gewesen. Ihr Name sei Eleonore Bitterle, sie sei
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