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Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus
Autoren: Paulus Hochgatterer
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Polizistin und er doch ein Psychiater, der sich mit Kindern auskenne. Wenn man das behaupte, werde schon was dran sein, sagte er. »Was fällt Ihnen zu folgender Situation ein«, fragte sie, »ein Kind wird geschlagen, ins Gesicht, auf den Rücken, auf die Arme, man fragt, wer es war, und es sagt: Etwas Schwarzes ?« Horn schwieg. »Haben Sie eine Idee dazu?«, fragte sie nach einer Weile. »Etwas Schwarzes schlägt ein Kind«, sagte er. Mehr fiel ihm nicht ein. Der Bub sei knapp sieben Jahre alt und solle am nächsten Tag befragt werden. Ob es ihm möglich sei, aufs Kommissariat zu kommen. »Am frühen Nachmittag«, sagte er, »um drei.«
    Die Sonne war endgültig verschwunden. Der Boden war kaum mehr auszunehmen, daher verzichtete Raffael Horn auf die Abkürzungen. Wer schlug ein siebenjähriges Kind? Blöde Frage, dachte er. Dann kam ihm Tobias in den Sinn, wie er schlafend auf dem Bett gelegen war, den Speichelfleck vor dem Mund, und wie er ihn angerufen hatte, weil er sich Sorgen um Mimi machte. Tobias war müde gewesen, fiel ihm ein, und zugleich spöttischer als sonst. Erneut streifte ihn etwas. Es hing damit zusammen, was sein Sohn über die Katze gesagt hatte. Plötzlich wusste er es. Er beschleunigte seinen Schritt.
     

Drei
    Seit Jahren brauchte er keinen Wecker mehr. Egal, wann er am Abend ins Bett gegangen war, sah er am Morgen der Dämmerung zu, wie sie ins Schlafzimmer kroch, durch das Schlüsselloch, durch den Spalt unter der Tür, durch die Poren des Rollos vor dem Fenster. Er wusste, dass der Wunsch, noch einmal einzuschlafen, unsinnig war, daher hatte er ihn sich abgewöhnt. Er lag auf dem Rücken, drückte die Knie nach unten und dachte über verschiedene Dinge nach, über die Stimmung in seinem Team, über die Entwicklung der Drogenszene in Furth und über die Frage, ob man den jungen Weghaupt tatsächlich vom Gerüst gestoßen hatte oder nicht. Außerdem hatte sich Charlotte angekündigt, seine Tochter. Sie war seit eineinhalb Jahren nicht mehr da gewesen und hatte ihre Absicht, zu kommen, nicht begründet. Wahrscheinlich brauchte sie Geld wie alle Sechzehnjährigen.
    Kovacs streckte seinen Arm nach rechts und tastete über die leere Betthälfte. Marlene war nicht da. Manchmal wusste man Dinge und musste sich trotzdem vergewissern. Kinder taten das und keiner fand etwas dabei. Sie schläft zumindest jede zweite Nacht bei mir, dachte er, sie kocht für mich, sie plant unsere Urlaube und wenn sie weg ist, brauche ich Beschwörungsrituale, um es zu ertragen; weit habe ich es gebracht. Ludwig Kovacs hatte geschworen, sich auf keine Beziehung mehr einzulassen, nachdem ihn seine Frau zugunsten eines geschniegelten Oberösterreichers verlassen hatte. Er hatte zu trinken begonnen, vor allem Bier, nur noch minderwertiges Zeug gegessen und sich am Ende täglich die Seele aus dem Leib gekotzt. Ein walrossgesichtiger Internist hatte ihm einen Schlauch in den Schlund geschoben, »Gastritis« gesagt und ihm dringend nahegelegt, sich erstens einen Psychotherapeuten zu suchen und zweitens sein Leben zu ändern. Er war zu Szarah und Lefti gegangen, hatte Rote-Linsen-Suppe und Joghurt mit frischem Koriander gegessen und war getränkemäßig auf Pfefferminztee umgestiegen. Psychotherapie konnte ihm gestohlen bleiben. Nach einem Dreivierteljahr war ihm anlässlich einer Einbruchssache Marlene Hanke, die Inhaberin des einzigen Secondhandladens in Furth, über den Weg gelaufen. Sie war zwar nach dem Ende ihrer eigenen Ehe extrem misstrauisch gewesen, hatte sich aber schließlich auf eine Art Geschäftsbeziehung zum Zweck gegenseitiger sexueller Zufriedenstellung eingelassen. Die Sache hatte ganz gut geklappt, ein- bis zweimal pro Woche Geschlechtsverkehr, mit den üblichen Aufs und Abs. Ohne dass er es gemerkt hatte, war sie ihm nebenbei ans Herz gewachsen, und plötzlich hatte er sich nicht mehr vor allem nach ihren Brüsten und der Glätte ihrer Schneidezähne gesehnt, sondern genauso nach den Speckpolstern an ihren Hüften, nach der Art, in der sie die Fäuste ballte, wenn sie wütend war, und nach ihrem herrlich blechernen Lachen. Oder danach, wie sie sich im Bett zur Seite dreht und mir auffordernd den Rücken zukehrt, wenn sie merkt, dass ich nachts mit offenen Augen daliege, dachte Kovacs, und wie ich mich dann in einer besseren Art von Schlaflosigkeit an sie schmiegen kann. Genau das fehlte ihm jetzt. Ich rufe sie an, dachte er und kam sich zugleich vor wie ein kleines Kind, das auf der Stelle seine
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