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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod
Autoren: Lena Falkenhagen
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in der Gegend um Lübeck und südlich davon seit Jahrhunderten siedelte, heutzutage aber außer als Gesinde für niedere Arbeiten wenig beliebt in der Stadt war. Marike fand die alten Symbole ein wenig unheimlich, doch sie ließ sich nichts anmerken.
    »Ganz recht. Sind ein paar schöne Stücke dabei. Ich lasse sie putzen. Vielleicht magst du sie tragen?« Dabei hob er eine wulstige Metallscheibe hoch, aus der ihr ein vages Gesicht entgegenglotzte, das nur aus einem Paar großer Augen zu bestehen schien.
    Marike fuhr ein Schauder über den Rücken, und sie vermied den starren Anblick dieses hässlichen Dings. Schnell wandte sie sich zur Ablenkung dem Schachspiel zu, das auf dem dunklen Nuss- und hellem Birkenholzbrett auf dem nahen Tisch jüngst begonnen worden war. Die junge Frau liebte die gemeinsamen Partien mit ihrem Vater, seit dieser das alte Spiel aus dem Land der Engelländer mitgebracht hatte. Auf dem Brett blieb nichts dem Zufall überlassen, und wenn man nur alles wohl erwog, war einem der Sieg gewiss. Zumindest in der Theorie, denn Marikes Achillesferse war ihre Ungeduld. Partien zwischen Johannes Pertzeval und seiner Tochter dauerten meist recht lange, da der Vater bisweilen nur ein oder zwei Züge am Tag machte und die Überlegungen schon mal mit ins Bett nahm. Marike überschaute das Brett und zog recht flink – oft zu flink.
    An diesem Morgen hatte der Vater seinen nächsten Zug bereits getan – sein weißer Turm bedrohte ihre schwarze Königin, die sie keinesfalls verlieren wollte. Marike befürchtete schon seit gestern, dass er diese Chance nicht verstreichen lassen würde. Auch heute entschloss sich die Tochter schnell zu einem Zug. Die Fußsoldaten beider Seiten waren schon dezimiert, sodass über kurz oder lang wertvollere Figuren fallen mussten. Sie bedachte, wo sich ihre Königin gefahrlos aufstellen ließe, um ihren Vater gleichzeitig aus der Reserve zu locken. Dann zog Marike ihre Königin diagonal nur ein paar Felder weit, um sie nicht opfern zu müssen und ihrerseits die weiße Königin ihres Vaters bedrohen zu können.
    »Bald sage ich schah mat , Herr Vater«, meinte sie in Siegeslaune, denn wenn die weiße Königin weiterhin so untätig herumstand, würde sie leicht gewinnen. »Dann ist dein König aus dem Spiel, und du hast verloren.«
    Johannes Pertzeval schenkte dem Brett einen längeren Seitenblick und brummelte: »Man sollte meinen, dass der Anstand gebietet, zunächst die Ritter und Krieger auszuschalten, bevor man sich an den Herrscher macht! Die Jugend kennt keinen Respekt mehr vor alten Traditionen.«
    »Die Welt ist schlecht«, sagte Marike nachdenklich dahin, während sie sich die neue Spielsituation einprägte.
    »Das ist sie in der Tat«, erwiderte Pertzeval mit einem Seitenblick, der Marikes Laune dämpfte. »Mehr als du denkst, Kind, und du solltest Gott bitten, dir diese Unschuld zu bewahren. Ich tue es auch.« Einen Augenblick hing Schweigen in der Kammer. Marike fühlte jenen unruhigen Blick des Vaters auf sich ruhen, mit dem er sie manchmal bedachte. »Man sollte sich aber nicht nur auf den Herrn verlassen. Er schätzt Menschen nicht, die ihr Leben schleifen lassen und sich dann an ihn wenden, um alles wieder ins Lot zu bringen.« Diesen Vortrag kannte Marike. Üblicherweise endete er damit, dass man dem Herrn zu Gefallen ein anständiges Tagwerk verrichten sollte und dass es immer etwas zu tun gab, wenn man nur danach suchte.
    Doch heute verzichtete Johannes Pertzeval auf seine Belehrungen, denn ein harter Husten überkam ihn. Die Tochter betrachtete ihn sorgenvoll und betete, dass der Arzt mit seiner Prognose zur Gesundheit des alten Mannes recht behalten würde. Der Gedanke daran, den Vater zu verlieren, ließ ein eiskaltes Ziehen in ihrem Magen entstehen. Was würde aus ihr werden, wenn er einmal nicht mehr wäre? »Vater...«, begann sie, doch der Mann winkte unwillig ab. Als der Husten abflaute, keuchte er schließlich leise: »Das hat alles bald ein Ende, mein Kind.«
    Marike spürte, wie sich Tränen in ihren Augenwinkeln sammelten. Sie biss sich auf die Lippen, um sich nichts anmerken zu lassen. »Aber nicht doch, Vater. Vielleicht … vielleicht tut Ihr heute einfach einmal, was der Arzt rät.« Dabei rückte sie betreten die Figuren auf dem Schachbrett zurecht, um sich abzulenken.
    Der Vater hatte die Sorge in ihrer Stimme wohl vernommen. »Glaub mir, Kind, ich werde es Gevatter Tod nicht allzu leicht machen.« Er klopfte sich gegen die Stirn. »Zu
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