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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod
Autoren: Lena Falkenhagen
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Stein noch in ihrer Hand. Sie würde ihn später oben in ihr Kästchen legen, um ihn mit den wenigen anderen Schätzen aufzubewahren, die sie besaß. »Wie geht es ihm?«, fragte sie und wies mit dem Kinn gen Dornse.
    »So verstockt wie immer, Jungfer Marike. Wenn Euer Vater so weitermacht, wird er uns aus purer Dickköpfigkeit alle überleben.«
    »Pater Martin! Wie redet Ihr über den alten Herrn!«, schimpfte Marike liebevoll.
    »Nicht anders, als er es verdient«, schmunzelte der Priester und bekreuzigte sich. »Und nicht anders, als er über mich reden würde.«
    »Danke, Bruder.« Marike nahm seine Hand und drückte sie erleichtert. »Wollt Ihr etwas essen?«
    »Nein, Jungfer, ich bin satt. Wir sehen uns zur Beichte«, antwortete Martin, denn er war Marikes Beichtvater, wie er vorher der ihrer Mutter gewesen war. Jetzt nahm er Marike beim Arm. »Achte darauf, dass er bußfertig ist und sich schont, ja? Er sollte mal wieder bei Domherr Nikolaus zur Beichte gehen. In seinem Zustand sollte man mit leichter Seele leben.« Er zog die bereitstehenden Holztrippen gegen den Dreck über die weichen Lederschuhe. Die junge Frau versprach es und verabschiedete den Pater mit bedrücktem Gefühl.
    Die Holztür zur Dornse knarrte in den Angeln, als Marike sie öffnete und ihren Vater über eine dunkle Wachstafel gebeugt sah. Mit einem Griffel, der die Form eines lang gestreckten, eine Flamme ausspeihenden Drachenkopfes besaß, notierte er Zahlen und Zeichen. Der Bronzestift gehörte zu Johannes Pertzevals liebstem Besitz. Zwar schrieb kaum jemand noch so ausschließlich mit den veralteten Geräten wie Marikes Vater, doch er fühlte sich, meinte er, mit der Wachstafel wohler. Seit sie diese Art des Schreibens auch ein paarmal ausprobiert hatte, wusste Marike auch, warum. Man musste den Griffel im harten Wachs mit so viel Kraft führen, dass eine ähnliche Behandlung der teuren Kiele nur in einer Menge gebrochener Federn enden konnte. Also übertrugen seine Gehilfen die Zahlen später in die Geschäftsbücher, die natürlich aus teuren Pergamentbögen gebunden waren. Johannes Pertzeval misstraute allem Vergänglichen.
    Marike musterte ihren Vater besorgt. In der anderen Hand hielt er ein kleines Stück Bronze, das eine gemütlich auf den Beinen liegende Kuh nachbildete, während er vor sich hin murmelnd mit dem Ende des Griffels ein Zeichen glättete, um es sorgfältig durch ein neues zu ersetzen. Er war dünn geworden, was sein langes Gesicht noch eingefallener erscheinen ließ, die Augen lagen über Tränensäcken tief in den Höhlen, und der charaktervolle Mund wirkte noch größer als früher. Halblanges weißes Haar umrahmte wirr die hohe Stirn und fiel ihm auf den Kragen einer langen braunen Houppelande mit weiten Ärmeln.
    Er sieht doch ganz gesund aus, dachte die Tochter liebevoll und versuchte, die Spuren der Krankheit zu ignorieren. Vermutlich war der Vater einfach nur müde. Marike hörte ihn manchmal erst sehr spät in seine Kammer einkehren, die direkt unter ihrer lag.
    »Herr Vater«, Marike beugte das Haupt zum morgendlichen Gruß. In der Kammer war es stickig. Der Händler blickte kurz vom Schreibpult auf. Er hatte das Pult in die Nähe des Kachelofens geschoben, der die Rückseite von Alheyds Herd in der Diele darstellte und so einige Wärme abstrahlte.
    »Marike«, sagte Johannes Pertzeval zur Begrüßung heiser, winkte seine Tochter näher und hob kaum die Blicke von seinen Zahlen. »Alles im Lot?«
    »Alles im Lot«, erwiderte Marike. »Was sagt Pater Martin?«
    »Der ist ein Pfaffe und ein Beichtvater, was soll er schon sagen?«, grunzte der Vater mürrisch, doch Marike wusste, dass er den Pater mochte.
    »Dass du bußfertig sein und dich schonen sollst?«, zitierte Marike die Litanei, denn das sagte Martin jedes Mal.
    »Ja. Und der Herr gibt es, und der Herr nimmt es war dieses Mal auch wieder dabei.« Johannes Pertzeval unterdrückte ein Husten. »Wenn ich mein Leid akzeptieren würde, wie die Pfaffen es mir raten, wäre ich wohl schon vor Jahren dem Gevatter Tod begegnet.«
    Marike wies auf das Stück Bronze in der Hand des Vaters. »Ist das aus der Baugrube?« Johannes Pertzeval und Anton Oldesloe leiteten seit letztem Frühjahr gemeinsam die Arbeiten an den Fundamenten eines neuen Holstentores, das die Stadt jenseits der Trave bauen ließ. Dabei waren sie in dem Aushub auf ein paar metallische Schmuckstücke gestoßen, die vermutlich von den Vorfahren der Wenden stammten – jenem slawischen Volk, das
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