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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod
Autoren: Lena Falkenhagen
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Augapfel. Das ging sogar so weit, dass er die Männer, die um die Hand seines »Sterns« angehalten hatten, wie er Marike seit ihrer verträumten Kindheit zärtlich nannte, der genauesten Betrachtung unterzog. Nicht, dass es viele Freier gegeben hätte, noch, dass Marike einen davon hätte erwählen wollen – doch wenn es nach ihrem Vater ginge, war kein Mann gut genug für sie. Auch bei diesem Gedanken musste Marike schmunzeln.
    Das heisere Krächzen der Krähen vom Hof ließ Marike einen Schauder den Rücken hinablaufen. Fröstelnd wandte Marike sich ab und ging hinüber zur Dornse. Alheyd blickte auf und warnte: »Der Herr hat Besuch, Herrin.«
    »Pater Martin?«, riet sie.
    »Ja, Herrin«, erwiderte Alheyd überrascht.
    Dabei war das nicht schwer zu erraten gewesen. Kompagnons wie Anton Oldesloe und Leute aus dem Rat traf ihr Vater meist außer Haus. So früh am Morgen kamen also nur zwei Menschen infrage – Pater Martin, ein Kaplan der Marienkirche, und der ruhige Bruder Anselmus, Meister des Heiligen-Geist-Hospitals oben im Jakobi-Quartier. Der Arzt kam regelmäßig vorbei, um nach der Gesundheit von Johannes Pertzeval zu sehen, denn der alte Mann hustete oft und wurde immer dünner – die Auszehrung oder auch Schwindsucht, wie man neuerdings sagte. Pater Martin hingegen begleitete Marike seit ihrer frühen Kindheit und war stets zur Stelle gewesen, wenn sie sich mit ihren Problemen nicht an den Vater hatte wenden wollen. Er hatte sie ermutigt, in der Lateinschule über die Grundrechenarten und das Schreiben hinaus, das einigen Mädchen dort beigebracht wurde, Fragen zu stellen – alles andere sei eine Verschwendung vor dem Herrn. Er sagte stets: Schule deinen Geist, denn er ist ebenso ein Geschenk des Herrn wie deine Seele. Doch Marike wusste, dass andere Priester nicht so dachten und es für Verschwendung hielten, Mädchen Schreiben, Rechnen und Latein beizubringen. Vermutlich waren solche Ansichten der Grund, warum Martin trotz seines fortgeschrittenen Alters niemals zum Domherrn berufen worden war.
    Als Marike noch zögerte, ob sie den Gang zum Vater verschieben und zunächst eine Liste der zu ergänzenden Vorräte anlegen sollte, sah sie durch die halb offen stehende Tür eine bekannte Gestalt durch die morgendliche Gasse gehen. Sie hielt inne, denn der junge, aufstrebende Maler Bernt Notke war ihr schon des Öfteren in der Messe aufgefallen. Der junge Mann hatte ein scharf geschnittenes Gesicht, das von braunem Haar gerahmt wurde, und wache Augen. Gemäß der Mode waren Wangen und Lippen rasiert, auch wenn Stoppeln davon kündeten, dass er das nicht täglich tat. Wenn Marike ehrlich war, gefiel ihr das – er wirkte eben nicht so städtisch und normal wie die jungen Männer aus der gehobenen Lübecker Gesellschaft, sondern beinahe verwegen. Seine langen und schlanken Finger waren nur ungenügend von Farbresten befreit worden. Er trug ein schlichtes enges und kurzes Wams, wie es bei jungen Männern üblich geworden war. Marikes Vater runzelte immer kritisch die Stirn, wenn er die jungen Männer so gekleidet sah, da man ihnen unter den Rock schauen konnte. Sie hingegen fand, dass ihn das Wams ganz hervorragend putzte.
    Marike wollte sich gerade wieder abwenden, da schreckte sie eine zuckersüße Frauenstimme auf: »Ah, Jungfer Marike. Sonst steckt Ihr ja immer mit dem Kopf in den Wolken. Wie schön zu sehen, dass Eure Gedanken neuerdings auf weltlichere Dinge gerichtet sind!«
    Errötend fuhr Marike herum und sah sich Catharine von Calven gegenüber, die mit ihrer Magd vor dem Fenster stand. Marike hatte sie nicht kommen sehen. Die blasse Catharine sah bedeutungsvoll zu Bernt Notke hinüber, um zu verdeutlichen, was sie meinte, und setzte ein unschuldiges Lächeln auf. Dabei ordnete sie die Falten ihres viel zu warmen, aber reich verzierten dunkelblauen Oberkleides. Die von Calvens waren nicht nur eine der angesehensten, sondern auch der wohlhabendsten Familien Lübecks, und Catharines Vater hatte sogar das Amt eines der vier Bürgermeister der Stadt inne. Früher war Johannes Pertzeval mit dieser Familie so vertraut gewesen, dass Wilhelm von Calven in ihrem Haus ein und aus gegangen war und einen Narren an Marike gefressen hatte. In den letzten Jahren hatte man nicht mehr so viel miteinander zu tun.
    »Ich … ich weiß nicht, was Ihr …«, stammelte Marike, irritiert von der Feindseligkeit, die Catharine von Calven wie stets an den Tag legte.
    Doch das einige Jahre jüngere Mädchen winkte elegant
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