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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod
Autoren: Lena Falkenhagen
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über dem Bischof auf, wie eine dürre Vogelscheuche. Dann beugte sie sich vor, wie um seine Stirn zu segnen, und begann mit heller Stimme einen fremdartigen Singsang.
    Arnold verschränkte krampfhaft die Arme vor der Brust und betete. Erst als die Finsternis vor seinen Augen überhandnahm, begriff er, wen er vor sich hatte. Das musste der Tod sein, der seine Seele ins Jenseits reißen würde. In seinen letzten Gedanken wunderte sich der Bischof nur, warum der Tod ausgerechnet dieses Gesicht trug.

KAPITEL 1
    D ie Krähen kamen. Einem Fliegenschwarm gleich durchzogen sie den Morgenhimmel über der Hansestadt Lübeck. Sie taumelten mit fernem Klagen von einer trägen Luftströmung zur nächsten, bevor sie in weitem Bogen herabglitten. Ihr Ziel lag in einem engen Hof zwischen Giebelhäusern aus Backstein: eine dichte grüne Eiche, deren Äste sich unter den schweren Vogelleibern bogen. Die Krähen erfüllten die klare Luft dieses einunddreißigsten Tages im Juli des Jahres 1465 mit heiserem Krächzen und düsteren Vorahnungen. Der Tag drohte stickig zu werden, obwohl die Landinsel Lübeck, von der Flussschleife aus Wakenitz und Trave umflossen, selten so warm war wie andere Binnenstädte.
    Marike Pertzeval lag im Bett und lauschte den rauen Stimmen der Vögel, die sie aus dem Schlaf gerissen hatten. Die vage Erinnerung an einen Traum lungerte in ihrem Geist, doch sie erinnerte sich nicht mehr daran. Einzig eine getragene Flötenmelodie war ihr noch im Bewusstsein, deren genaue Tonfolge bereits in den Schleiern des Erwachens versank. Doch die Musik hatte etwas in Marike berührt und eine Spur von Melancholie hinterlassen.
    Schlaftrunken griff die junge Frau zu dem bronzenen Handspiegel, der auf einem Tischchen am Bett lag. Dessen Fläche war zwar schon alt und verbeult, zeigte Marike aber noch passabel ihr Antlitz. Ihr Vater Johannes Pertzeval sagte immer, die flandrische Ader ihrer Mutter würde in ihr durchkommen. Und manchmal, bei schummrigem Licht, gaukelte das verzerrte Spiegelbild in der gehämmerten Bronze Marike vor, dass nicht sie selbst daraus zurückschaute. Dann war es jenes andere, fremdvertraute Gesicht von Lisbeth Pertzeval, das auch unten in der Diele ein Wandbild zierte. Die Tochter erforschte ihr Spiegelbild begierig nach Ähnlichkeiten mit diesen Zügen, den einzigen Anhaltspunkten dafür, wie ihre Mutter wohl ausgesehen hatte. Doch heute blinzelten ihr aus dem schmalen, blassen Gesicht mit den Sommersprossen nur schlafschwer die eigenen Augen entgegen, die ein wenig zu eng standen und von erstaunlich klarem Blau mit hellgrauem Strahlenkranz um die Iris waren. Voller Bedauern ließ Marike die Erinnerung fahren. Wenn sie schon so früh wach war, konnte sie auch gleich aufstehen.
    Also ging sie zur Wasserschale und wusch sich kurz den Schweiß der lauen Nacht vom Körper. Sie zog ihr kurzärmeliges schilffarbenes Überkleid aus der Kleidertruhe, streifte es über das Unterkleid und schnürte es seitlich zu, bevor sie in weiche Lederschuhe mit langen Spitzen schlüpfte. Mit geübten Griffen bezwang sie ihre rotblonden Haarsträhnen, flocht von den Schläfen je eine zum Hinterkopf und nahm sie zusammen, um den Rest des vollen Haares aus dem Gesicht zu halten. Marike beschwerte sich mit einem letzten strafenden Blick durch die kleine Dachluke stumm bei den Krähen für das unsanfte Wecken und trat dann auf die knarrenden Dielen vor ihre Dachkammer. Hier, im untersten der vier Lagergeschosse des Backsteinhauses, würde bald die brütende Mittagshitze unter dem Dach stehen. Dem Handelsgut ihres Vaters, das hier oben gelagert war – größtenteils Korn, Salz, einige Ballen Leinen und Beutel voll Kräuter -, schadeten die Temperaturen nicht so sehr wie Marike und den Bediensteten, die nachts auf dem Speicher schliefen. Sie würden jeden Windhauch zu schätzen wissen, der die niedrigen Kammern kühlte.
    Die Kaufmannstochter hatte mit dem Warenbestand und den vielfältigen Geschäften ihres Vaters kaum etwas zu tun, sie besaß einfach kein Händchen für Zahlen. Der Speicher ihres Vaters war bereits vor Wochen geleert und das Gut auf Schiffe verfrachtet worden, damit der Geselle Brunow es mit weiteren Wagenladungen aus Lüneburg nach Malmö verschiffen konnte. Dort wurden mit dem Weißen Gold Heringe eingesalzen, die im Gegenzug dann aus den Schonischen Gewässern nach Lübeck zurücktransportiert wurden. Ein leerer Speicher war ein Segen, sagte Johannes Pertzeval stets. Und besonders das Korn war anfällig
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