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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod
Autoren: Lena Falkenhagen
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wenig zu tun hatte. »Die Beichte dient nicht dem Zweck, dir deine Schuld aufzuzeigen. Sie soll dir gestatten, dir selbst zu vergeben, Marike. Das hat zumindest mal ein weiser Mann zu mir gesagt.« Dabei hatte er schelmisch gegrinst und ihr zärtlich über das Haar gestrichen.
    Marike warf noch einen wehmütigen Blick auf das durch den Tod getrennte Liebespaar auf dem Totentanz. Notke hatte sie gebeten zu bleiben, ja seine Frau zu werden. Sie achtete ihn dafür umso mehr, denn eine Ehrlose zu ehelichen kostete Mut, wenn man noch jung war und sein Leben vor sich hatte. Es machte keinen Unterschied für die Lübecker, dass er derjenige gewesen war, dem sie ihren Jungfernkranz geschenkt hatte. Sie hatte seine Bitte abgelehnt.»Lübeck ist mir fremd geworden«, hatte sie gesagt. »Du hast hier noch dein ganzes Leben vor dir. Der neue Bischof Albert Krummediek kommt bald, und er wird prachtvolle Retabeln oder Triumphkreuze für seinen Dom wollen. Und du bist derjenige, der sie malen wird, das weiß ich. Doch für ein anständiges Leben brauchst du eine angesehene Frau an deiner Seite. Ich bin nicht mehr anständig, und ich verabscheue die Lübecker Gesellschaft. Eines Tages würdest du mich für all die Türen hassen, die sich dir meinetwegen verschlossen haben. Und deshalb muss ich gehen.«
    Sie hatte ihm die inzwischen liebgewonnene Gewandnadel mit den großen Augen hinterlassen, damit er sie nicht vergaß. Im Gegenzug hatte sie seinen Rosenkranz angenommen. So würde sie ihn im Gebet stets bei sich wissen. Als er sie gefragt hatte, wohin sie gehen würde, hatte sie mit den Schultern gezuckt. »Brügge vielleicht.«
    Marike verabschiedete sich von dem Totentanz und seinem Maler, auch wenn sie Bernt bereits Lebewohl gesagt hatte. Doch ihr Herz hoffte noch. Es hatte sich nicht wie ein Abschied für immer angefühlt. In den Pesttagen des letzten Jahres waren die Bande zwischen ihnen so eng verflochten worden, dass sie niemals reißen würden. Vielleicht würde sie eines Tages sehen, was für ein erfolgreicher Mann aus dem jungen Maler geworden war. Und vielleicht könnten sie beide dann die Toten vergessen, die zwischen ihnen standen. Doch heute und hier wollte Marike nicht zurücksehen.
    Sie stieß die Tür der Norderkapelle auf und trat hinaus in den jungen Morgen. Sie blinzelte ins Sonnenlicht und winkte dem Pfeifer zu, der auf dem Bock eines Karrens saß. Als sie sich neben ihm auf das wackelige Gefährt schwang, da lächelte sie bereits wieder.
    »Können wir?«, fragte der Flötenspieler.
    Marike wandte sich nach hinten um. »Bist du bereit, Felix?« Der Junge, der hinten auf der Fläche zwischen dem Gepäck saß, lächelte breit und nickte, während er sich aufgeregt an seinen Lederball klammerte. Als sie aufsah, stand Notke dort am Brunnen und sah zu ihr herüber. Sein zausiges braunes Haar wehte im Wind, sein stoppeliges Gesicht bewies, dass er kaum geschlafen hatte. Trotzdem sah er in seinem neuen schwarzen Wams sehr schneidig aus. Als er eine Hand zum Gruß hob und sein Blick Marikes traf, musste sie schlucken. Nun wusste auch er, was Abschied hieß. Sie schenkte ihm ein Lächeln und drückte die Tränen aus den Augenwinkeln fort. Dann sah sie nach vorn.
    »Wir können.«
    Als der Karren anzog, sandte Marike einen letzten Gruß an Lübeck und seine Bewohner, doch sie würde sich nicht umdrehen. Und bald ratterten sie über die Holstenbrücke aus der Stadt.
    »Eines Tages, Lübeck«, murmelte sie mit Wehmut im Herzen.
    »War das eine Drohung?«, schnaufte der Pfeifer grinsend, als die Pferde den Karren ächzend den Hang hinaufschleppten.
    »Vielleicht«, erwiderte Marike lächelnd. Sie fiel dem wölfisch anmutenden Spielmann in die Zügel und hielt das Gefährt an. »Vielleicht.« Sie drehte sich um und sah zu den Zwillingstürmen von Sankt Marien. Beinahe enttäuscht stellte sie fest, dass man Bernt von hier nicht mehr sehen konnte, obwohl sie wusste, dass er ihr nachblickte. Sie berührte den Rosenkranz an ihrem Herzen. Jetzt hatte sie doch zurückgeschaut.
    Als sich die Tür hinter Marike Pertzeval schloss, hallte das Krachen durch die drei Kirchenschiffe der Marienkirche. Im Halbdunkel der Norderkapelle wirkte der Totentanz an der Wand wie ein gespenstischer Reigen. Lebende und Tote, der ganze Reigen der Stände hinauf und hinunter tanzte auf dem Bild; tanzte, als gälte es, der Hölle zu entfliehen.
    Von den Backsteinpfeilern von Sankt Marien schien die Erinnerung einer spöttischen Melodie widerzuhallen,
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