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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod
Autoren: Lena Falkenhagen
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gelitten hat? Wie viele Menschen mehr erdulden, was sie erdulden musste? Sie hätte nicht sterben müssen, Marike! Er ist der Beweis, dass ich recht gehabt habe!« Er lachte aus ganzem Herzen und wies auf den Tod, der in ihrer Mitte stand und niemanden anzurühren wagte.
    »Aber – Pater Martin, Vater! Pater Martin! Wie konntest du nur?« Der Schmerz in Marikes Stimme ließ den alten Mann erzittern. »Ich kenne ihn, Marike. Er hätte es verstanden! Er hätte sich gern geopfert, um dein Leben zu retten – und das so vieler anderer! Hätte er gewusst, was -«
    Ein dumpfes Klappen von der Herrenpforte ertönte, und mit schnellen Schritten lief jemand herbei. Bernt Notke, der Maler, der seiner Tochter nachstieg, hielt am Rande des Kirchenschiffes inne und staunte. Der kam Pertzeval gerade recht! Auch er hatte zu alldem beigetragen – wenn auch widerwillig. Doch schließlich war er nur einer von vielen, die versucht hatten, ihm seine Tochter zu rauben.
    »Du widerst mich an!«, sagte Marike leise, doch ihre Stimme bebte. Sie legte nun endlich den Knaben vorsichtig auf den Boden der Kirche. War er bereits tot? Johannes äugte zu ihm hinunter, um ein Lebenszeichen zu suchen. Oder würde der Tod dieses letzte Opfer selbst holen? »Wenn du wirklich geglaubt hättest, dass Martin dir zustimmen würde«, schluchzte sie, »dann hättest du es ihm gesagt! Aber du wusstest, dass er dich wahnsinnig nennen würde! Wie konntest du so einfach über sein Leben entscheiden? Wer bist du denn, Vater? Bist du Gott?«
    Pertzeval schüttelte den Kopf, denn sie verstand einfach nicht. »Marike, was unterscheidet dich denn von mir? Was hast denn du mit Oldesloe getan? Du hast eine Gefahr gesehen und sie bekämpft. Du hast Oldesloe in die Arme des Todes getrieben, Marike, weil du meintest, dass er es verdient hätte. Bist du also auch Gott?« Seine heisere Stimme hallte im Schweigen des Kirchenschiffs wider.
     
    Marike hatte gedacht, sie würde voller Hass und Wut sein. Doch die Wahrheit war, dass sie nichts fühlte. Sie schüttelte traurig das Haupt. »Nein, Vater. Ich weiß nicht mehr, wer und was ich bin. Und ich weiß nicht mehr, wer du bist. Ich weiß nur, dass du ein Ungeheuer bist. Du hast so viel Unheil angerichtet. Das muss ein Ende haben.« Sie hob die Klinge, mit der ihr Vater dem kleinen Felix die Arme aufgeschnitten hatte, und ging langsam auf ihn zu. Ihr war beinahe, als steuere eine fremde Hand sie. Ihr war kalt. Doch sie war noch nie zuvor so entschlossen gewesen wie jetzt. Sie wusste, dass sie bereit war, ihn zu töten. »Und wenn du es nicht selbst tust, dann werde ich dem ein Ende machen.«
    »Marike!«, rief Bernt Notke und eilte die Stufen hoch, sodass er zwischen ihr und ihrem Vater zu stehen kam. »Das kannst du nicht tun!«
    »Ich muss.« Sie empfand Mitleid für den geliebten Mann, denn der Schmerz in seinem Gesicht war so deutlich. Doch sie musste den Vater aufhalten! Sie wollte an Bernt vorbeigehen, doch er trat ihr wieder in den Weg. »Bitte! Marike, geh in dich! Das kannst du gar nicht wollen. Hör auf dein Gewissen!«
    Eine Träne lief Marike über die Wange, tropfte von ihrem Kinn auf ihr Hemd und mischte sich über der Brust mit dem Blut des armen Jungen, der hinter ihr am Rande des Todes lag. »Mein Gewissen? Ich habe keins mehr.« Sie wischte mit dem Messer die Tränen aus dem Gesicht. »Ich fühle gar nichts«, flüsterte sie und hörte das Erstaunen in ihrer eigenen Stimme.
    Notke musterte sie mit zärtlichen Augen. Schließlich fuhr er sich in einer hilflosen Geste durch das Haar. »Du sagst, du fühlst nichts? Bitte«, er trat aus dem Weg, »ermorde deinen eigenen Vater! Besudele deine Hände mit seinem Blut, so wie er seine mit dem Blut anderer besudelt hat! Tu, was du tun musst.«
    Irritiert starrte Marike ihn an. Was wollte er damit bezwecken? Doch es war egal. »Alles, was ich fühlte und wusste, habe ich von einem Mann gelernt, der ein Mörder und Lügner ist, Bernt!« Sie nahm ihren Weg wieder auf.
    »Gestern Nacht hast du gefühlt, Marike.« Er lächelte zärtlich. Seine Hand legte sich auf ihren Arm, und Marike spürte die Stellen, an denen er sie in der stürmischen Nacht berührt hatte. »Und du fühlst auch noch, nicht wahr? Du lebst noch. Und du liebst noch – das weiß ich, egal, was du dir selbst vormachst.« Er schluckte, und seine Stimme war gequält vor Schmerz. »Es ist nur so – dein Gewissen liegt begraben unter so viel Tod«, er wies auf die schwarze Gestalt, die noch immer in der
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