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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod
Autoren: Lena Falkenhagen
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als bliese ein irrer Flötenspieler sein Instrument. Ein Lichtstrahl fiel auf den Pfeifer des Totentanzbildes. Der verharrte darauf in gespenstischer Haltung, eine Mütze mit Feder keck auf dem kahlen Haupt, das Leichentuch wie den Umhang eines Edelmannes übergeworfen, das Bein über einer verrinnenden Sanduhr erhoben.
    Die Farbe des Pfeifers aus Haut und Knochen glänzte im Sonnenstrahl, wie er die Reihe der Toten anführte und voller Hingabe auf seinem Instrument spielte, als entlocke er ihm verführerische, tolle Töne. Dabei glänzten die leeren Augenhöhlen voller Spott, und die Mundwinkel des Schädels schienen sich über seiner Flöte zu krümmen, als grinse er spöttisch über die Menschen, die dem Reigen des Todes zu entfliehen suchten. Lebt erst einmal!, schien er zu sagen. Lebt, dann habt ihr mehr vom Tod!
    Gott weiß, warum er mich pfeifen schickt, und wen er ohn’ Sünd’ zu sich entrückt. Gott weiß, weshalb er die Guten und Bösen lässt lang, lässt kurz hie treiben ihr Wesen. Ich pfeif’ euch zum Frieden, ich pfeif’ euch zur Qual, ich pfeif’ euch in Gottes ewigen Saal. Ich pfeife so laut, dass jeder mich hört – Wer ist’s, der sich zu Gotte kehrt?

Nachwort
    M it dem Totentanz zu Lübeck verbrannte im Zweiten Weltkrieg einer der herausragendsten Zeitzeugen der Vergangenheit. Die Tatsache, dass das Bild noch nach Jahrhunderten die Menschen beeindruckt, beweist die große Schaffenskraft seines Malers. Mich inspirierten Hugo Distlers Chorstück »Totentanz«, dessen Texte von Johannes Klöcking ich mir für das Schauspiel der Fahrenden lieh, und das widerspruchsvolle Gemälde selbst zu dem vorliegenden Roman, in dem ich das Ursprungswerk und seine musikalische Huldigung wieder zueinander zurückführen möchte.
    Der Wissenschaft ist nicht genau bekannt, wann der Lübecker Totentanz gemalt wurde, und es gibt keine unwiderlegbaren Beweise dafür, dass Bernt Notke der Künstler war. Die Entstehung des Gemäldes wird nicht vor 1463, dem Datum auf der Kopie des Gemäldes von 1701, und nicht nach 1467, der ersten urkundlichen Erwähnung von Bernt Notke in Lübeck, eingeordnet. Vor 1467 muss Notke aber bereits einige Jahre in Lübeck gewirkt haben. Sicher ist nur, dass die Fertigstellung des Bildes auf den Vorabend von Mariä Himmelfahrt datiert worden ist.
    Da die Entstehung des Phänomens Totentanz im Allgemeinen mit Pest und Pestangst verbunden wird, war es mir ein Anliegen, die Anfertigung von Notkes Totentanz vor dem Hintergrund der Pest in den Jahren 1464 und 1465 in Lübeck stattfinden zu lassen. Mit dem Verlegen des Pestbeginns ins Jahr 1465 verdichte ich die Handlung der Spannung halber auf einen kürzeren Zeitraum. Tatsache ist, dass viele historische Figuren (Bischof Konrad und Bürgermeister von Calven) tatsächlich in diesem Jahr verschieden.
    Fast sämtliche Stiche oder Fotografien des Totentanzes aus der Marienkirche zu Lübeck basieren auf einer Kopie des schlecht erhaltenen mittelalterlichen Totentanzes, die im Jahr 1701 von Anton Wortmann angefertigt worden ist. Damals sind viele bildliche Details bereits verloren gegangen, Figuren umgeordnet und die Verse vollständig neu geschrieben worden.
    Den Herzog, der ursprünglich auf dem Gemälde dem Tod des Bischofs folgte, habe ich mir in meinem Reigen auszulassen gestattet. Er ist auf den wenigsten Stichen oder Fotos des Lübecker Totentanzes zu finden, da er 1799 zugunsten einer vergrößerten Tür herausgeschnitten wurde, und ist auch in den Illustrationen in diesem Band nicht vorhanden.
    Wortmanns Kopie, die die Zeit überdauerte, verbrannte schließlich im Jahr 1941 als eines von vielen Kunst- und Bauwerken Lübecks im Feuersturm des Zweiten Weltkrieges.
    Ohne die Musik Distlers und Notkes Bild wäre diese Huldigung an Wandel und Vergänglichkeit niemals geschrieben worden und mein Leben heute wäre nicht dasselbe.
     
    LENA FALKENHAGEN

Verlagsgruppe Random House
     
     
     
     
     
     
    Vollständige Originalausgabe 07/2008 Der Abdruck des Totentanzes in der Marienkirche (erfolgt) mit freundlicher Genehmigung von Dräger Druck GmbH, Lübeck.
    Copyright © 2008 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München in der Verlagsgruppe Random House
    Umschlagfoto: © akg-images, © Blauel/Gramm/ARTOTHEK
    eISBN : 978-3-641-01736-1
     
    www.heyne.de
    www.randomhouse.de
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