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Das Todeskreuz

Titel: Das Todeskreuz
Autoren: Andreas Franz
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Sonntag, 23. April 2006
     
    Julia Durant hatte trotz Bereitschaftsdienst ein ruhiges,
wenn auch nicht geruhsames Wochenende hinter sich. Sie hatte
geputzt, nachdem am Dienstag ihre neuen Möbel eingetroffen
waren, die sie nach dem Desaster mit dem »Mann ihrer Träume«,
der ihr die große Liebe vorgegaukelt, ihr aber nur die Welt in
Form materieller Güter zu Füßen gelegt hatte, ausgesucht und
schließlich gekauft hatte. Sie konnte auf einmal das ganze Zeug
nicht mehr sehen, die Couch, den Tisch, den Teppichboden, die
Gardinen, selbst das Schlafzimmer und das Bad hatten ihr nicht
mehr gefallen. Seit gut zwölf Jahren lebte sie in dieser herrlich
geschnittenen Altbauwohnung in Sachsenhausen, und genauso
alt war der überwiegende Teil der Einrichtung. Julia hatte sich im
Laufe der Jahre einiges zusammengespart und am ersten Advent
spontan beschlossen, einen Teil davon für die neue Einrichtung
auszugeben, nicht ohne vorher die Wände und Decken neu streichen
und den Fußboden mit Wildkirschlaminat auslegen zu lassen.
Das Einzige, was sie behielt, war die Essgruppe, die sie vor
vier Jahren bei einem Schreiner in Hattersheim-Okriftel in Auftrag
gegeben hatte. Und obwohl sie nur sehr selten kochte, hatte
sie auch eine neue Küchenzeile ausgesucht, die am vergangenen
Freitag aufgebaut worden war. Fast zwanzigtausend Euro hatte
sie der ganze Spaß gekostet, einschließlich des LCD-Fernsehers,
der wie ein Bild an der Wand hing, und der Hi-Fi-Anlage, die
direkt darunter ihren Platz gefunden hatte.
    Alles strahlte in neuem Glanz, helle Pastellfarben dominierten,
weil sie das Blau und Grau nicht mehr ertrug. Gestern und heute
hatte sie die Fenster geputzt und den Boden gewischt und gewienert,
die Schränke mit einer speziellen Politur behandelt und den
Teppich zweimal gesaugt.
    Nun, nachdem der größte Teil geschafft war (nur eine Maschine
Wäsche musste noch gewaschen werden), stand sie mitten im
Wohnzimmer und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen,
und ein zufriedenes Lächeln umspielte ihre Lippen. Kein großes
Doppelbett mehr im Schlafzimmer, nur noch ein Futonbett, in
dem zwar notfalls auch noch eine zweite Person Platz finden
würde, aber sie hatte nicht vor, in der nächsten Zeit jemand andern,
schon gar keinen Mann, in ihr Bett zu lassen. Wenn sie einen
brauchte, dann würde sie es machen wie etliche Male zuvor.
Sie würde sich etwas Schickes anziehen, zu ihrer Bar in der Innenstadt
fahren und mit jemandem, der ihr gefiel, in einem Hotelzimmer
verschwinden, ein paar Stunden mit ihm dort verbringen
und so anonym, wie sie ihn kennengelernt hatte, auch wieder verlassen.
Keine Namen, keine Adressen. Das Letzte, was sie wollte,
war, noch einmal eine Beziehung einzugehen und wieder enttäuscht
zu werden. Sie war Single, und sie würde es bleiben, auch
das war ein Entschluss, den sie gefasst hatte. Für Kinder war es
ohnehin zu spät, und sich für einen Mann zu verbiegen, dazu war
sie nicht bereit. Konzessionen schon, aber auch dies genügte den
Männern, mit denen sie es in der Vergangenheit zu tun hatte, offenbar
nicht. Sie hatte es oft genug versucht und war jedes Mal
kläglich gescheitert. Ab sofort würde sie ihr Leben nur noch genießen,
auch wenn es immer wieder diese Momente gab, in denen
sie sich unendlich einsam fühlte, in denen sie glaubte etwas
ganz Wesentliches verpasst zu haben und ihr die Decke auf den
Kopf zu fallen schien. Dann machte sie entweder einen langen
Spaziergang oder ging ins Fitness-Studio oder telefonierte mit
ihrem Vater - oder stürzte sich wie wild in Arbeit.
    Doch im Augenblick fühlte sie sich nur wohl, konnte sich
kaum sattsehen an all dem Neuen, und sie bereute nicht eine Sekünde, so viel Geld auf einmal ausgegeben zu haben. Als sie im
Vorfeld mit ihrem Vater über ihren Entschluss der Veränderung
gesprochen hatte, hatte er ihr nur zugeraten und gesagt, sie solle
bloß kein schlechtes Gewissen haben. Und er hatte wie so oft
recht, ihr Konto war nicht überzogen, selbst auf ihrem Sparbuch
waren noch immer über zwanzigtausend Euro, und außerdem
hatte sie einen Beruf, in dem sie unkündbar war, ein Privileg, das
sie in der heutigen Zeit als einen Segen empfand.
    Aber die Wohnung war nicht alles, was sie verändert hatte. Sie
war am Freitag zum zweiten Mal in diesem Jahr beim Friseur
gewesen, um sich helle Strähnchen in das dunkelbraune Haar
ziehen zu lassen, und hin und wieder erschien sie im Rock und
einer Bluse
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