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Das Mädchen Ariela

Das Mädchen Ariela

Titel: Das Mädchen Ariela
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Jerusalems, in dem die ›Frommen der Frommen‹ wohnen, die Jemeniten und bucharischen Juden, die orthodoxen Gläubigen und die polnischen Juden, ist ein Gewirr von kleinfenstrigen Häusern, engen Gassen, Straßenbögen und Toren. Das ›hunderttorige Viertel‹ nennt man Mea Shearim. Hunde und Katzen jagen sich auf den Gassen, aus den Eingängen höhlenartiger Läden klingt das Hämmern der Gold- und Silberschmiede, klappern Webrahmen, dringen murmelnde Stimmen durch die heiße Stille. Hier betet man viel, hier ist der Glaube mehr als das halbe Leben. Von den flachen Dächern und den Türmchen der Straßentempelchen blickt man hinüber in das geteilte Jerusalem, in den jordanischen Teil der Heiligen Stadt. Dicke Betonmauern hat man hier errichtet, mit Schießscharten versehen. Hinter ihnen ist ein Trümmerfeld, liegen zerstörte Häuser in der Sonne, ahnt man in den Ruinen der einsamen Straßen, der verlassenen Gebetshäuser, der Mauerreste die Maschinengewehrnester der jordanischen Armee, die Granatwerfer, die leichten Geschütze. Ab und zu blitzen in den Trümmern flache Stahlhelme auf, sieht man sie durch die Ruinen laufen. Ewiger Krieg herrscht hier, wie überall an der Grenze Israels. Fast jeden Tag peitschen Gewehrschüsse aus diesem toten Streifen der Stadt hinüber in das jüdische Jerusalem. Vom Mandelbaumtor, dem einzigen Ausländerübergang in das jordanische Jerusalem, bis hinunter zum Berg Zion und dem Hinnom-Tal stehen sie auf Dächern und hocken hinter Mauervorsprüngen … Israelis und Araber, seit achtzehn Jahren fließt an jedem Tag Blut an dieser immer brennenden Grenze.
    Für Mahmud ibn Sharat war das kein Problem mehr. Knallte es irgendwo zwischen der Deresch Hebron oder dem Damaskustor, so stellte er sich schnell in eine Haustür oder hinter eine der Betonmauern, die entlang der Demarkationslinie alle Straßen durchzogen, grau und häßlich, nur erbaut, um Leben zu schützen. Dort wartete er ab, bis die jordanischen Soldaten ihre Schießübungen beendet hatten. Meist gab es einen Toten, zuletzt ein vierzehnjähriges Schulkind, ein Mädchen, das von der Schule nach Hause ging. Die Zeitungen schrieben dann darüber, in der Knesseth, dem Parlament Israels, wurde eine Gedenkminute eingelegt … dann ging das Leben weiter. Ein Toter an Israels Grenze … er war alltäglich wie ein fallendes Blatt vom Ölbaum, wie das Verwehen des Blütenstaubes der Mimosen.
    Mahmud ibn Sharat war Fellhändler. Das war ein einträglicher Beruf. Er verkaufte Kuhfelle an die Gerbereien, Ziegenfelle für die Deckenherstellung, Schaffelle für den Export als Bettvorleger. Aber auch die Häute der Dachse und der possierlichen Hüpfmaus brachten Geld. Aus der Negev-Wüste bezog er die Felle des Wabs, einer Kaninchenart, aus denen man schöne, warme Schlafdecken herstellen konnte. Das alles aber war nur ein Aushängeschild des immer höflichen und lächelnden Mahmud. Durch seine Geschäfte kam er überall hin, hatte überall gute Freunde, saß auf der Terrasse des berühmten King-David-Hotels mit ausländischen Importeuren zusammen, trank Tee, sah nachdenklich hinüber auf die Mauern der Altstadt, die Kuppeln und Türmchen des Heiligen Grabes, die Betonmauern und Maschinengewehrnester der Waffenstillstandslinie. Dann seufzte er laut, faltete die Hände über dem Bauch und legte sein braunes Gesicht in Falten. »Die Menschen«, sagte er wehmütig, »sie begreifen nicht, was Frieden ist.«
    Der andere Mahmud ibn Sharat war weitgehend unbekannt. Nur eine Handvoll Menschen wußte, daß er das Auge Jordaniens im jüdischen Jerusalem war. Seine Ohren hörten alles, seine Blicke nahmen alles wahr, sein Gehirn speicherte jedes Gespräch mit den Ausländern. Was in keiner Zeitung stand – Mahmud erfuhr es beim Tee im King-David-Hotel oder am Swimming-pool des President-Hotels. Er hatte einen eigenen Weg von Jordanien nach Jerusalem und zurück … einen unterirdischen Gang unter den Trümmern der zerschossenen Häuser im Stadtteil Musrara. Vor zwei Jahren hatten zwei spielende Kinder orthodoxer Juden diesen Gang entdeckt, fröhliche kleine Jungen von zehn Jahren mit langen, schwarzen, gedrehten Löckchen. Man sah sie nie wieder und fand sie auch nicht. Mahmud aber saß am nächsten Tag wieder lächelnd auf der Teeterrasse des King-David und erzählte seinen Freunden aus Europa von der Schönheit des bulbul, der Nachtigall am Wüstenrand.
    Das Haus Mahmuds in Mea Shearim war eng, durch das ewige Halbdunkel auch im Sommer kühl und
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