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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege
Autoren: Ricarda Martin
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Stirn. »Sagen wir, eintausend Pfund. Wenn Sie mit dem Geld gut haushalten, reicht es einige Jahre und kann Ihnen den Start in ein neues Leben ermöglichen.«
    Die Summe fuhr wie ein heißes Eisen durch Susans Körper. Eintausend Pfund! Sie hatte keine Vorstellung, wie viel das war, es hörte sich jedoch unglaublich hoch an. Lavinia bemerkte Susans Zögern. Sie trat neben sie, legte eine Hand auf Susans Schultern und sah ihr eindringlich in die Augen.
    »Überlegen Sie sich mein Angebot, Sie wissen ja, wo Sie mich finden. Übrigens – in welchem Monat sind Sie eigentlich?«
    »Im vierten, das Kind wird im April erwartet.« Gegen ihren Willen entschlüpfte Susan die Antwort, dann jedoch schüttelte sie vehement den Kopf. »Sie sind wirklich verrückt«, wiederholte sie, schüttelte Lavinias Hand ab und verließ schnell das Zimmer.
    Mühelos fand sie den Weg nach draußen. Erst als sie auf der kalten und feuchten Straße stand, wurde Susan bewusst, dass sie jetzt wohl den ganzen weiten Weg bis nach Haus zu Fuß gehen musste. Keine zehn Pferde würden sie wieder in das Haus zurückbringen und Lady Lavinia an ihr Versprechen, sie mit ihrer eigenen Kutsche nach Hause bringen zu lassen, erinnern. Die Frau war eindeutig von Sinnen, wer wusste schon, was sie in ihrem Wahn, ihr Kind zu bekommen, anstellen würde? Susan schüttelte sich wie ein junger Hund, denn so einer Person wie Lavinia Callington war sie zuvor nie begegnet. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, wenn sie Lavinia in der Themse hätte ertrinken lassen. Susan kannte ihren Ehemann zwar nicht, es wunderte sie jedoch nicht, dass er sich von Lavinia trennen wollte. Ihre Kinderlosigkeit war bestimmt nicht der einzige Grund, denn eine Frau, die einer anderen das Angebot machte, deren Kind abzukaufen, war doch nicht richtig im Kopf. Sicher hatte sie noch zahlreiche andere Eigenheiten, die ein Zusammenleben mit ihr erschwerten.
    Fröstelnd, denn Susan hatte weder Umhang noch Mantel, machte sie sich auf den Weg durch den kalten Abend. Bei jedem Schritt, der sie weiter von Belgravia fortführte, wurde es ihr etwas leichter ums Herz. Dennoch konnte Susan nicht verhindern, dass auch nach zwei Stunden, als sie endlich den Stadtteil Lambeth erreichte, Lavinias Stimme ihr immer noch in den Ohren klang. Es war nur ein Satz, aber diesen wurde Susan nicht los: »Ich gebe Ihnen eintausend Pfund.«

2. Kapitel
    N achdem Susan das Boudoir verlassen hatte und die Tür mit einem lauten Knall hinter ihr ins Schloss gefallen war, sank Lavinia in einen Sessel. Sie schlug die Hände vors Gesicht und stöhnte gequält. Warum hatte sie sich zu einem solchen Angebot hinreißen lassen? Der Gedanke, dieser, aus der armen Unterschicht stammenden, Frau ihr Kind regelrecht abzukaufen, war Lavinia spontan gekommen, und sie hatte ihn ausgesprochen, ohne darüber nachzudenken. Kein Wunder, dass Susan sie für verrückt halten musste. Erst fischte sie sie aus der Themse, und dann machte sie Susan ein nicht nur unmoralisches, sondern schon kriminelles Angebot. Natürlich war der Vorschlag völlig unzumutbar gewesen, geboren aus Lavinias tiefster Verzweiflung, niemals ein eigenes Kind in den Armen zu halten. Die Nachricht des Arztes am Nachmittag war wie der Schlag einer eisernen Faust in ihre Magengrube gewesen, und Lavinia hatte keine Ahnung, wie es jetzt weitergehen sollte. Sie wusste, irgendwann musste sie ihrem Mann die Wahrheit gestehen. Seine Geduld war nach fünf Ehejahren, in denen sie nicht schwanger geworden war, erschöpft, und natürlich schloss er aus, die Schuld könne eventuell auch bei ihm liegen. In den letzten Monaten hatte Lavinia alles, was sie über Sterilität in die Hände bekam, gelesen und dabei überrascht festgestellt, dass in fünfzig Prozent der Fälle, wenn die Frau kein Kind empfing, der Mann zeugungsunfähig war. Meistens war das auf Krankheiten, wie zum Beispiel Mumps, im Kindes- oder Jugendalter zurückzuführen. Edward würde sich jedoch niemals untersuchen lassen. Das war jetzt auch nicht mehr nötig, denn Lavinia hatte ja die Gewissheit, dass die Schuld einzig bei ihr lag. Sie war unfruchtbar und damit eine nutzlos gewordene Frau. Wie lange konnte sie Edward noch hinhalten? Ein Jahr, vielleicht zwei? Länger gewiss nicht, denn Edward wurde auch nicht jünger, und sein Wunsch nach einem Sohn und Erben wurde von Tag zu Tag stärker.
    Das Eintreten eines der Mädchen riss Lavinia aus ihren trüben Gedanken.
    »Soll ich Ihnen das Abendessen hier servieren,
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