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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege
Autoren: Ricarda Martin
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fortfuhr: »Unglücklicherweise hat mein Mann bei unserer Vermählung durch einen Anwalt verfügt, dass ich – sollte ich ihm keinen Erben gebären – im Falle einer Scheidung keinen Penny erhalte.«
    »Das ist doch nicht rechtens, oder?« Susan starrte Lavinia ungläubig an.
    »Leider schon. Wir Frauen haben in unserem Staatssystem ohnehin keine Rechte, also kann ich gegen diese Verfügung nichts unternehmen. Das heißt, ich werde wohl bald kein Dach mehr über dem Kopf haben und mir meinen Lebensunterhalt erbetteln müssen.«
    »Nun mal langsam.« Susan runzelte die Stirn. »Ich bin nicht so gebildet wie Sie, Mylady, aber ich bin nicht dumm, darum frage ich mich: Was ist mit Ihren Eltern oder anderen Verwandten? Sie stammen sicherlich nicht aus ärmlichen Verhältnissen, irgendwo wird es wohl einen Platz geben, an dem Sie Ihr gewohntes Leben fortführen können.«
    »Was wissen Sie denn schon?« Susan war über Lavinias plötzlichen Stimmungswechsel überrascht, denn plötzlich wirkte diese richtiggehend zornig. »Meine Eltern sind bankrott, pleite, wie man in Ihrer Schicht zu sagen pflegt. Darum drängten sie auf die Ehe mit Edward, wenngleich er ihnen auch nicht mehr aus der Misere helfen konnte. Die wenigen Verwandten, die wir hatten, wandten sich von uns ab, als sich mein Vater vor zwei Jahren erschoss, weil er mit der Schande der Mittellosigkeit nicht länger leben konnte. Für meinen Mann ist meine Mutter ebenfalls gestorben, denn mit der Frau eines Selbstmörders verkehren wir in unseren Kreisen nicht. Somit habe ich niemanden, an den ich mich wenden kann und der mir helfen würde. Außerdem ist eine geschiedene Frau nicht gesellschaftsfähig, und es bleiben ihr die Türen aller guten Häuser verschlossen. Diese Schande kommt zu der finanziellen Misere hinzu.«
    »Wie wäre es mit Arbeit?« Fassungslos schüttelte Susan den Kopf. Sie merkte, wie langsam Zorn in ihr hochkroch. »Sie haben sicher eine gute Schulbildung genossen, nicht wahr? Das ist mehr, als Millionen anderer Frauen in diesem Land haben. Sehen Sie mich an – ich habe nie richtig schreiben und lesen gelernt, sondern habe mir das erst in den letzten Jahren selbst beigebracht. Trotzdem habe ich eine Arbeit, mit der ich meinen Sohn und mich ernähre. Nun, meistens mehr schlecht als recht, aber bisher sind wir nicht verhungert. Doch bald werde ich diese Stellung verlieren, denn ich erwarte ein Kind. Sobald der Metzger, bei dem ich arbeite, davon erfährt, wird er mich hochkantig rauswerfen, und niemand anderer stellt eine Schwangere ein. Wie es dann weitergehen und wovon ich mit zwei Kindern leben soll … keine Ahnung. Trotzdem springe ich nicht in die Themse und versuche, mich umzubringen.«
    »Sie erwarten ein Kind?« Lavinias Augen flackerten unruhig. »Was ist mit dem Vater? Hat er Sie sitzenlassen? Ich nehme nicht an, dass Sie verheiratet sind.«
    »Oh, doch!« Trotzig streckte Susan das Kinn vor. »Mein Mann kann sich derzeit nur nicht um mich und unseren Sohn kümmern.« Susan war nicht gewillt zu erzählen, dass ihr Mann seit über einem Jahr wegen schweren Raubes und Körperverletzung im Gefängnis von Wandsworth einsaß, also nicht der Vater ihres ungeborenen Kindes sein konnte. Sie hatte nun endgültig genug von Lady Lavinia, ihrem vornehmen Getue und Gejammer. Mochte sie in ihrem Haus auch mehrere Badezimmer und weiche Handtücher haben – sie wollte nur noch von hier fort.
    Ohne Lavinia weiter zu beachten, stand Susan auf und ging zur Tür. Eine Hand bereits auf dem Knauf, hörte sie, wie Lavinia rief: »Geben Sie mir Ihr Kind! Ich meine das Ungeborene. Sie können es für mich austragen, und ich werde Sie dafür gut bezahlen. Dann sind Sie Ihre Sorgen los.«
    Susan glaubte, sich nun wirklich in einem Traum zu befinden, allerdings wandelte dieser sich zu einem Alptraum. Mit einem Schnauben fuhr sie herum.
    »Sie sind ja verrückt und wissen nicht mehr, was Sie sagen! Ich hätte Sie am besten im Wasser lassen sollen.«
    »Es ist mein Ernst.« Plötzlich klang Lavinias Stimme ruhig und leise. »Wir könnten auf unseren Sommersitz nach Cornwall fahren. Mein Mann würde uns dort nicht besuchen, über den Winter kann er London nicht verlassen. Dort bekommen Sie in aller Ruhe Ihr Kind, das ich als das meinige annehmen werde. Den Leuten dort kann ich hundertprozentig vertrauen, sie würden ihr Leben für mich opfern, wenn es sein müsste. Wenn alles vorbei ist, gebe ich Ihnen …« Sie zögerte kurz und runzelte nachdenklich die
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