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Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)

Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)
Autoren: M. L. Stedman
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und dem Kind.
    Sie hob den Finger von der Seite, um den Brief noch einmal zu lesen. Diesmal versuchte sie, den Sinn der Worte zu erfassen, und hörte dabei Toms Stimme, wie er sie aussprach. Immer wieder las sie und fühlte sich, als würde ihr Körper entzweigerissen. Und schließlich traf sie, von Schluchzern geschüttelt, eine Entscheidung.

Kapitel 35
    Wenn es in Partageuse regnet, schleudern die Wolken Wasser zu Boden und durchweichen die Stadt bis ins Mark. Jahrtausende sintflutartiger Regenfälle haben auf dem alten Lehmboden Wälder sprießen lassen. Der Himmel verdunkelt sich, und die Temperaturen stürzen in den Keller. Die Staubstraßen werden von breiten Rinnen durchzogen, und Springfluten machen sie unpassierbar für Automobile. Die Flüsse werden reißend, bis sie schließlich nach dem Ozean riechen, von dem sie vor so langer Zeit getrennt worden sind. Nichts kann sie in ihrem Drang aufhalten, dorthin zurückzukehren – nach Hause.
    Es wird still in der Stadt. Die letzten verbliebenen Pferde stehen einsam vor ihren Wagen, während das Regenwasser von ihren Scheuklappen tropft und von den Automobilen abperlt, die inzwischen in der Überzahl sind. Die Menschen stehen mit verschränkten Armen auf den breiten Veranden der Läden in der Main Street und machen mürrische und schicksalsergebene Gesichter. Auf dem Schulhof stapfen ein paar Rabauken durch die Pfützen. Frauen seufzen und betrachten die Wäsche, die sie nicht rechtzeitig von der Leine geholt haben, und Katzen schlüpfen, missmutig maunzend, zur nächstgelegenen Tür herein. Das Wasser strömt am Kriegerdenkmal hinunter, dessen vergoldete Inschrift inzwischen verblasst. Es plätschert vom Kirchendach und durch das Maul eines Wasserspeiers auf Frank Roennfeldts neues Grab. Der Regen verwandelt die Lebenden und Toten, ohne einen Unterschied zu machen.
    »Lucy wird keine Angst haben.« Auch Tom schießt dieser Gedanke durch den Kopf. Er erinnert sich an das Gefühl in seiner Brust – das seltsam ehrfürchtige Erschaudern vor einem kleinen Mädchen, das sich lachend dem Blitz entgegenstellte. »Mach, dass es knallt, Dadda!«, rief sie und wartete darauf, dass der Donner grollte.
    »Verdammt!«, schimpfte Vernon Knuckey. »Wir haben schon wieder eine undichte Stelle.« Allerdings war »undichte Stelle« ein wenig beschönigend für die Flut, die vom Hügel oberhalb des Reviers herunterströmte. Wasser ergoss sich in den hinteren Teil des Gebäudes, der tiefer gelegen war als der vordere. Schon wenige Stunden später stand Toms Zelle zwanzig Zentimeter tief unter Wasser, das gleichzeitig von oben und von unten eindrang. Die Spinne hatte sich aus ihrem Netz an einen sicheren Ort geflüchtet.
    Knuckey erschien, den Schlüsselbund in der Hand. »Heute ist Ihr Glückstag, Sherbourne.«
    Tom verstand nicht ganz.
    »Das passiert meistens, wenn es so heftig regnet. Dann stürzt in diesem Bereich des Reviers oft die Decke ein. In Perth versprechen sie uns zwar ständig, die Sache zu reparieren, aber sie schicken, soweit ich bis jetzt feststellen konnte, immer nur irgendeinen Idioten, der das Ganze mit Mehl und Wasser wieder zuspachtelt. Und trotzdem würden sie es uns übel nehmen, wenn die Gefangenen vor der Gerichtsverhandlung absaufen. Also kommen Sie besser mit nach vorn, bis die Zelle wieder trocken ist.« Er ließ den Schlüssel im Schloss stecken. »Sie werden mir doch keine Dummheiten machen, oder?«
    Tom sah ihm schweigend ins Gesicht.
    »Also gut. Raus mit Ihnen.«
    Tom folgte Knuckey nach vorn ins Büro, wo der Sergeant ihm eine Handschelle anlegte und die andere an einem Wasserrohr befestigte. »Bei diesem Wolkenbruch wird die Kundschaft uns sicher nicht überfluten«, meinte er zu Harry Garstone und lachte über sein eigenes Wortspiel. »Ich sollte Komiker werden.«
    Bis auf den Regen, der vom Himmel prasselte und jeden Gegenstand in eine Trommel oder in ein Becken verwandelte, war nichts zu hören. Der Wind hatte sich gelegt, und draußen rührte sich nur der Regen. Garstone machte sich daran, mit einem Mopp und einigen Handtüchern Schadensbegrenzung zu betreiben.
    Tom saß da und blickte durch das Fenster auf die Straße hinaus. Er stellte sich vor, welche Aussicht man wohl in diesem Moment gerade von der Galerie auf Janus hatte: Der Leuchtturmwärter würde sich wegen des plötzlichen Luftdruckwechsels fühlen wie in einer Wolke. Er beobachtete die Zeiger der Uhr, die über das Zifferblatt krochen, als hätten sie alle Zeit der Welt.
    Im
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