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Macabros 009: Blutregen

Macabros 009: Blutregen

Titel: Macabros 009: Blutregen
Autoren: Dan Shocker
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Ein gräßlicher Schrei zerriß die Stille der
Nacht. Dem alten Mann gefror das Blut in den Adern. –
»Gladis!«
    John Corkshere sprang vom Stuhl auf. Er stieß gegen den
Tisch. Die Kerze wackelte. Das Wachs tropfte auf die Tischplatte.
    Er stürzte aus dem dumpfen Wohnzimmer in den Flur hinaus. Von
hier führte eine schmale Holztreppe nach oben.
    Er nahm von dem kleinen, klobigen Schrank eine Windlampe,
zündete sie mit zitternden Fingern an und stieg die Treppe
empor. Oben wurde eine Tür aufgerissen. Eine Gestalt
stürmte aus einem Zimmer.
    »Gladis! Was ist denn passiert, mein Kind?« Corkshere
streckte die Lampe hoch. Das Licht flackerte über das
totenbleiche Gesicht von Gladis.
    »Vater… Das Zimmer… die Wand…«
    »Was ist mit dem Zimmer?«
    Die Stufen knarrten. Draußen fuhr der Wind unter die
lockeren Dachziegel und jaulte in den Rissen und Spalten der
Mauern.
    Gladis konnte nicht sprechen.
    »Was ist passiert?« John Corkshere sah dunkle Flecken
auf dem weißen, knöchellangen Nachthemd seiner
Tochter.
    Gladis stammelte etwas, aber was sie sagen wollte, war nicht zu
verstehen.
    Der Alte kam schnaufend auf der obersten Stufe an. Das
Treppensteigen strengte ihn an. Das Herz machte nicht mehr richtig
mit.
    Er legte einen Arm um Gladis. »Kind!« sagte er
erschrocken. »Du zitterst ja am ganzen Leib! Du hast Fieber! Du
mußt ins Bett!«
    »Nein… nicht ins Bett… nicht mehr in dieses Bett.
Es tropft… aus der Wand… aus der Decke. Blut, Vater,
überall… Blut!«
     
    *
     
    Nach John Corksheres Herz griff eine eiskalte Hand.
    »Beruhige dich!« flüsterte er. »Du hast
geträumt.« Er mußte an seine Frau denken. Genauso
hatte es bei ihr angefangen. Wurde Gladis auch verrückt?
    Ihre Mutter hatte vor einigen Wochen das Haus verlassen. Man hatte
sie bis zur Stunde nicht wiedergefunden. Grace Corkshere war eine
einfache, in sich gekehrte Frau gewesen. Schon immer hatten ihre
großen, dunklen Augen einen seltsamen und verträumten
Ausdruck gehabt. Jedermann, der sie gekannt hatte, sagte, daß
Grace viel zu schön für diese Welt und daß sie mit
ihren Gedanken immer woanders gewesen wäre.
    Hier in dem Haus, das mitten im Wald am Wege nach London lag, wo
Reisende oft eine kleine Pause einlegten, um etwas zu essen und zu
trinken, war alles schlimmer geworden.
    Grace hatte immer gesagt: »Ich möchte weg, John. Etwas
stimmt nicht mit diesem Haus. Ich habe hier Angst.«
    Und diese Angst war immer stärker geworden.
    Doch er hatte ihr Unbehagen den unsicheren Zeiten
zugeschrieben.
    Gäste kamen nur noch selten. Über Nacht blieb niemand
mehr hier, weil alle versuchten, noch vor Nachteinbruch in die
große Stadt zu kommen. Dort fühlten sie sich sicherer.
    Hier in den dichten Wäldern versteckten sich
Räuberbanden. Sie überfielen Kutschen und raubten die
Reisenden aus.
    Das einsame Haus, das Corkshere preiswert erstanden hatte, war
bisher verschont geblieben.
    Seit zwei Jahren lebte er hier, und nicht ein einziges Mal war er
überfallen und beraubt worden. Die Räuber wußten
wohl, daß hier nicht viel zu holen war.
    Corkshere hatte seine ganze Hoffnung auf dieses Haus gelegt.
Gerade weil die Reisenden nach London diesen Weg durch den Wald
benutzen mußten, hatte er sich ausgerechnet, daß manch
einer hier über Nacht bleiben würde. Es gab drei
Gästezimmer und eine Wirtsstube, in der man ein gutes Bier
trinken und einen guten Wein aus Frankreich genießen
konnte.
    »Das Haus bringt uns kein Glück. Laß uns hier
weggehen!« Gladis Corkshere bedrängte den Vater.
    »Es ist verflucht!«
    »Es ist nicht verflucht«, widersprach er. »Die
Zeiten sind schlecht. Dieses Jahr ist besonders schlimm. Aber das
ändert sich. Es bleibt nicht ewig 1672, Gladis.«
    Er streichelte über ihren Kopf und merkte, daß seine
Fingerspitzen feucht und klebrig wurden.
    Blut?
    Er löste sich von seiner Tochter, hielt die Lampe über
sie, um, sie genauer zu betrachten.
    Sein Atem stockte.
    Gladis war verschmiert mit einer roten Flüssigkeit. Er
versuchte, den Gedanken an Blut zu verdrängen. Aber es gelang
ihm nicht.
    »Hast du dich – geschnitten?« fragte er
vorsichtig.
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein… im Zimmer, ich
sagte es schon…«
    Er ließ sie stehen, näherte sich der Tür, die weit
offenstand.
    Er streckte die Hand mit der Lampe aus.
    Es tropfte.
    Auf die Lampe, auf seinen Kopf.
    Es kam aus der Decke.
    Regnete es draußen? War das Dach undicht?
    Ein Tropfen klatschte ihm mitten auf die Stirn.
    John Corkshere
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