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Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)

Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)
Autoren: M. L. Stedman
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genügen.« Seine Stimme klang zwar ruhig, doch er bekam kalte Hände und Füße, als die Schatten der Vergangenheit die strahlende Herbstsonne verdunkelten.
    Janus Rock war ein anderthalb Quadratkilometer großes Stück grüner Landschaft mit genug Gras, um die wenigen Schafe und Ziegen und eine Handvoll Hühner zu ernähren, und einer ausreichenden Erdschicht für einen kümmerlichen Gemüsegarten. Die einzigen Bäume waren zwei riesige Norfolktannen, gepflanzt von dem Bautrupp aus Point Partageuse, der den Leuchtturm 1889, über dreißig Jahre zuvor, errichtet hatte. Einige alte Gräber erinnerten an ein Schiffsunglück vor langer Zeit, als die Pride of Birmingham am helllichten Tag auf die gnadenlosen Felsen aufgelaufen war. Mit einem solchen Schiff war später die Lampe selbst aus England hierhergeschafft worden. Sie trug stolz die Aufschrift Chance Brothers, was für die modernste Technik jener Tage stand, die auch an den unwirtlichsten und entlegensten Orten in Betrieb genommen werden konnte.
    Die Strömung schwemmte alle möglichen Dinge an und wirbelte Strandgut herum wie zwischen zwei Propellern: Wrackteile, Teekisten und Walknochen. Gegenstände tauchten auf, wann und wie es ihnen gefiel. Der Leuchtturm erhob sich mitten auf der Insel wie ein Fels in der Brandung. Das Häuschen des Leuchtturmwärters und die Nebengebäude duckten sich daneben, gebeugt von jahrzehntelangen Sturmwinden.
    Isabel saß in der Küche an dem alten Tisch. Das Baby in ihren Armen war in eine flauschige gelbe Decke gewickelt. Sorgfältig trat Tom sich die Füße an der Matte ab, kam herein und legte ihr eine schwielige Hand auf die Schulter. »Ich habe den armen Teufel zugedeckt. Wie geht es dem Kleinen?«
    »Es ist ein Mädchen«, antwortete Isabel und lächelte. »Ich habe sie gebadet. Sie scheint gesund zu sein.«
    Das Baby drehte sich mit großen Augen zu ihm um und erwiderte seinen Blick.
    »Was mag sie wohl von all dem halten?«, fragte er.
    »Ich habe ihr auch etwas Milch gegeben, richtig, du süßer Fratz?«, säuselte Isabel, an das Baby gewandt. »Oh, sie ist so wunderschön, Tom«, fügte sie hinzu und küsste das Kind. »Der Himmel weiß, was sie durchgemacht hat.«
    Tom nahm eine Flasche Brandy aus dem Schrank aus Fichtenholz, schenkte sich ein kleines Glas voll ein und kippte es hinunter. Dann setzte er sich neben seine Frau und beobachtete das Spiel des Lichts auf ihrem Gesicht, während sie den Schatz in ihren Armen betrachtete. Das Baby verfolgte jede ihrer Bewegungen mit den Augen, als befürchte es, Isabel könne ansonsten verschwinden.
    »Oh, du Kleines«, flötete Isabel. »Armes, armes Ding.« Das Baby schmiegte das Gesicht an ihre Brust. Tom hörte die Tränen in ihrer Stimme, und die Erinnerung an den Verlust hing zwischen ihnen in der Luft.
    »Sie mag dich«, sagte er und ergänzte, wie zu sich selbst: »Ich stelle mir vor, wie es hätte werden können. Ich meine … So habe ich es nicht gemeint«, sprach er rasch weiter, »… du siehst einfach aus, als wärst du dafür geboren.« Er streichelte ihre Wange.
    Isabel blickte ihn an. »Ich weiß, Liebling. Ich weiß. Mir geht es genauso.«
    Er legte die Arme um seine Frau und das Kind. Isabel roch den Brandy in seinem Atem. »Oh, Tom, Gott sei Dank, dass wir sie rechtzeitig gefunden haben«, murmelte sie.
    Tom küsste sie und berührte dann die Stirn des Babys mit den Lippen. So verharrten die drei eine ganze Weile, bis das Baby zu zappeln begann und eine Faust unter der Decke hervorstreckte.
    »Nun.« Tom stand auf und streckte sich. »Dann werde ich mal einen Funkspruch absetzen, das Boot melden und ein Schiff anfordern, das die Leiche abholt. Und unsere Kleine hier.«
    »Noch nicht!«, protestierte Isabel und streichelte die Finger des Babys. »Es besteht doch kein Grund zur Eile. Dem armen Mann ist nicht mehr zu helfen. Und ich vermute, dass die Kleine für den Moment genug von Seefahrten hat. Warte noch ein bisschen und gib ihr Zeit, zur Ruhe zu kommen.«
    »Es wird sowieso Stunden dauern, bis sie hier sind. Sie schafft das schon. Du hast das arme Kind ja recht gut beruhigt.«
    »Lass uns trotzdem warten. Es spielt doch sicher keine Rolle.«
    »Ich muss es ins Protokollbuch eintragen, Schatz. Du weißt ja, dass ich verpflichtet bin, alles sofort zu melden«, wandte Tom ein, denn es gehörte zu seinen Aufgaben, jedes wichtige Ereignis im oder rund um den Leuchtturm, von vorbeifahrenden Schiffen und dem Wetter bis hin zu technischen Problemen
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