Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)

Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)
Autoren: M. L. Stedman
Vom Netzwerk:
dass Du immer geliebt wurdest.
    In aller Liebe.
    Die zart bestickten Taschentücher, die gehäkelten Babyschühchen, die Satinhaube, alles lag ordentlich zusammengefaltet in der Kiste, tief unter den Sachen aus Isabels eigener Kindheit. Bis jetzt hatte Tom nicht gewusst, dass sie sie aufbewahrt hatte. Erinnerungen an eine Zeit. An ein Leben. Zu guter Letzt entrollte Lucy-Grace eine von einem Satinband zusammengehaltene Karte. Die Karte von Janus, die Isabel vor so langer Zeit ausgeschmückt hatte: der Schiffbruchstrand, die Gefährliche Bucht – die Tinte leuchtete noch immer. Es versetzte Tom einen Stich, als er sich an den Tag erinnerte, als sie ihm die Karte überreicht hatte – und an sein Entsetzen wegen des Verstoßes gegen die Vorschriften. Und plötzlich wurde er wieder von der Liebe zu Isabel und Abschiedsschmerz überwältigt.
    Als Lucy-Grace die Karte betrachtete, liefen ihr Tränen über die Wangen, und Tom bot ihr sein ordentlich gefaltetes Taschentuch an. Sie tupfte sich die Augen ab und hielt nachdenklich inne. »Ich hatte nie Gelegenheit, mich bei dir zu bedanken«, sagte sie schließlich. »Bei dir und bei … bei Mama, dafür, dass ihr mich gerettet und so gut für mich gesorgt habt. Ich war noch so klein … und dann war es zu spät.«
    »Du brauchst dich nicht bei uns zu bedanken.«
    »Ich verdanke euch mein Leben.«
    Das Baby fing an zu schreien. Lucy nahm es auf den Arm. »Pssst, pssst, Kleiner, alles ist gut. Alles ist gut, Häschen.« Sie wiegte ihn hin und her, woraufhin das Weinen verstummte. »Willst du ihn halten?«, fragte sie Tom.
    Er zögerte. »Ich bin inzwischen ein bisschen aus der Übung.«
    »Mach schon«, erwiderte sie und legte ihm das kleine Bündel vorsichtig in den Arm.
    »Schau dich nur an«, meinte er. »Wie deine Mummy, als sie ein Baby war. Die gleiche Nase, die gleichen blauen Augen.« Als das Kind ihn ernst anblickte, stiegen lange vergessene Gefühle in ihm hoch. »Oh, Izzy hätte dich ja so gern gesehen.« Ein Speichelbläschen funkelte an der Lippe des Babys, und Tom betrachtete die Regenbogenfarben, die die Sonne daraufmalte. »Izzy wäre begeistert gewesen«, fügte er hinzu und musste ein Zittern in seiner Stimme unterdrücken.
    Lucy-Grace sah auf die Uhr. »Ich glaube, ich breche besser auf. Heute übernachte ich in Ravensthorpe. Ich möchte nicht bei Dunkelheit fahren – sicher sind Kängurus auf der Straße.«
    »Natürlich.« Tom wies mit dem Kopf auf die Kiste. »Soll ich dir helfen, die Sachen zum Auto zu bringen? Das heißt, falls du sie mitnehmen möchtest. Ich würde es verstehen, wenn nicht.«
    »Ich nehme sie lieber nicht mit«, erwiderte sie, und als Tom ein trauriges Gesicht machte, fügte sie lächelnd hinzu, »denn so haben wir einen Grund, uns wiederzusehen. Vielleicht schon bald.«
    Die Sonne schimmert nur noch als schmale Scheibe über den Wellen, als Tom sich in dem alten Liegestuhl auf der Veranda niederlässt. Neben ihm, auf Isabels Stuhl, liegen die Kissen, die sie selbst mit Sternen und einem Halbmond bestickt hat. Der Wind hat nachgelassen, und von tief orangefarbenen Streifen durchzogene Wolken hängen am Horizont. Ein Lichtpunkt durchdringt die Dunkelheit: der Leuchtturm von Hopetoun. Inzwischen wird er automatisch betrieben – seit der Hafen geschlossen ist, werden Leuchtturmwärter nicht mehr gebraucht. Er erinnert sich an Janus und den Leuchtturm, den er dort so lange betreut hat. Bis heute ragt jeder seiner Lichtblitze in die Dunkelheit hinein und weit nach draußen, bis zum Rand des Universums.
    Er spürt noch immer Lucys Baby im Arm, und das Gefühl lässt ihn daran denken, wie er Lucy selbst und davor, so kurz, seinen Sohn gehalten hat. Wie anders wären die Leben vieler Menschen verlaufen, wenn er nicht gestorben wäre. Er atmet durch und lässt den Gedanken eine Weile auf sich wirken, bis er aufseufzt. Es hat keinen Zweck, darüber nachzugrübeln. Wenn man einmal aufgebrochen ist, gibt es kein Zurück mehr. Er hat sein Leben gelebt. Die Frau geliebt, die er geliebt hat. Kein Mensch auf dieser Welt wird genau denselben Weg nehmen, und das ist auch gut so. Er sehnt sich noch immer nach Isabel, ihrem Lächeln und danach, wie sich ihre Haut anfühlt. Inzwischen laufen ihm die Tränen, die er in Lucys Gegenwart unterdrückt hat, übers Gesicht.
    Er blickt sich um. Der Vollmond wandert am Himmel nach oben, auf einem Zwillingshorizont, wie ein Gegengewicht zur untergehenden Sonne. Jedes Ende ist der Anfang von etwas Neuem. Der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher