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Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Titel: Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)
Autoren: Oliver Plaschka
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Gärten dahinter, die endlosen Säulengänge, die Decken, so hoch wie das Himmelszelt, die Mauern, die kein Meißel je berührt hat. Es ist der Gestalt gewordene Traum der Mächtigen: der Hof von Iljudis, am Rande des Sommerlands.
    Trauer befällt Sarik, denn er weiß, dass es diesen Ort nicht mehr gibt. In der leeren Halle steht eine Frau mit rotem Haar und aristokratischen Zügen allein vor einem Spiegel. Trotz ihrer gebieterischen Haltung liegt Traurigkeit in ihrem Blick. Sarik tritt hinter sie und sieht die Halle im Spiegel von Kerzenschein erhellt und voller Leben. Die phantastischsten Besucher aus allen Winkeln der Welt haben sich versammelt und berauschen sich an ihrer Macht und aneinander. Dann bläst ein Wind durch die Vorhänge, die Kerzen erlöschen, und mit ihnen die arabeske Szene. Zurück bleibt nur ein leerer Ballsaal, und der Kummer und die Anklage in den Augen der Frau, die sich nun umdreht und ihn bei der Hand nimmt.
    »Es ist an der Zeit«, sagt sie. Wie zuvor kehrt ein Bruchstück seiner Erinnerung zurück, und Sarik weiß, dass diese Frau ihm gefährlicher werden kann, als Borchiak das je vermocht hätte, denn er hat ihr einst einen Eid geleistet, und sein Wort bindet ihn. »Du musst erwachen.«
    »Korianthe«, sagt er, und wie er ihren Namen spricht, brechen für einen Moment die Bilder über ihn herein: der Orden von Geador, seine alten Gefährten, Hallen voller Spiegel und furchtbarer Entscheidungen; der Ausdruck in den Augen seines Freundes Zearis, als er ihn das letzte Mal sieht. Diese Bilder sind mehr, als er ertragen kann, entsetzlicher noch als die Statue in Borchiaks Berg, und abermals flieht Sarik, weiter in die Tiefen seines Traums.
    Lange Zeit lässt er sich treiben und denkt keinen Gedanken. Dann nimmt eine Strömung ihn auf und spült ihn schließlich an den Ort, an dem alle Wege wie in einem Mahlstrom enden.
    Er hätte diesen Ort jederzeit wiedererkannt, gleich, wie lückenhaft seine Erinnerung auch sein mag, auch wenn er ihn nie in Fleisch und Blut betreten hat. Jeder der Mächtigen kennt ihn und hat schon von ihm geträumt, und jeden von ihnen hat es danach gelüstet, ihn zu beherrschen: Navylyn, die Hallen des Schicksals, die Kammern aus Porzellan, in denen die Figur eines jeden lebenden Wesens existiert … und die Wesenheiten, von den Sterblichen als Götter verehrt, damit spielen.
    Sie liegen zwischen dieser Welt und den höheren Sphären – ein Haus für die Götter, wenn sie zu Besuch weilen. Hier wurden die Geschicke von Königen und Kindern, von Bettlern und Priestern entschieden. Heute aber liegen sie aufgegeben, verlassen, inmitten eines öden, bleichen Landes unter einem sternenübersäten Himmel. Die mächtigen Tore sind geschlossen, und die Einsamkeit ist bedrückend.
    Wenn er noch einen Beweis gebraucht hat, wie alt die Welt während seines Schlafs geworden ist, dann hat die Stille jenes verschlossenen Ortes ihn erbracht. Sarik weiß, nur eine Wesenheit vermag diese Pforten zu öffnen, und es ist sehr lange keine Wesenheit mehr hier gewesen.

HOCHZEITSNACHT
    E s ist ein schlechter Sommer gewesen, die Felder geben nicht viel her, für das man hätte danken können, und so gibt es diesen Herbst und Winter vor allem Fisch zu essen. Dennoch soll es ein besonderes Fest werden, denn Nell feiert Hochzeit. Der glückliche Bräutigam ist der jüngere der beiden Kaufmannssöhne (der mit dem gesunden Arm). Weder April noch ihr Vater legen großen Wert auf die Feier, die in einer ausgefegten Scheune stattfindet, aber zu Hochzeiten pflegt in Gabors Furt jeder zu erscheinen, und ein Fernbleiben käme einer Beleidigung gleich.
    Die Mädchen tragen ihre guten Kleider und balgen sich darum, wer Brautjungfer sein darf, und die jungen Männer starren den Mädchen in die Ausschnitte. April bekommt das alles kaum mit, denn sie spürt vor allem den schweren Blick ihres Vaters, als die Familie des Bräutigams, wie im Dorf üblich, einen stattlichen Brautpreis an seinen Schwager entrichtet. Die erste Runde von Gläsern wird gefüllt, und sie weiß, dass ihre Tage gezählt sind.
    Es geht ihr nicht gut an dem Abend. Das Gedränge der Menschen und das Gejohle der Betrunkenen sind ihr zuwider, und als die Tänze beginnen und man sie auffordert, krampft sich ihr Magen zusammen, und sie entfernt sich so weit von der Tanzfläche wie möglich. Nur zu gern wäre sie einfach gegangen.
    Angesichts der Blicke ihres Vaters bleibt ihr jedoch nichts anderes übrig, als bis in die späten Abendstunden
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