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Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Titel: Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)
Autoren: Oliver Plaschka
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dasselbe Zwielicht, das an allen Orten herrscht, an denen die Zeit nur langsam wie Honig fließt. Und doch ist es realer als das Dorf, der Berg, das Gewitter.
    Ich freue mich, dass du zurück bist , denkt das Irrlicht. Seine Stimme klingt nun viel näher. War es die ganze Zeit schon hier? Ich hoffe, die Reise war gut. Vermutlich hat es bereits vergessen, weshalb und wie lange er weg war. Er kann sich selbst kaum noch erinnern.
    Sarik atmet ein, genießt die frische Luft und die kühle Berührung der Farnwedel. Der Wald ist wie aus Türkis gehauen. Das Moos auf den Stämmen changiert in samtenem Grau und Grün. Die Vogelrufe im hohen Geäst scheinen das Echo vergangener Rufe, als ob jeder Sänger dem Lied des anderen respektvoll lauscht,ehe er es erwidert. Dann segelt ein Flughörnchen keckernd durch die Wipfel und verschwindet. Eine Spinne hebt höflich ihr Netz für ihn, und Sarik folgt einem der zufällig auftretenden Wege tiefer in den Wald.
    Auf Trittsteinen überquert er einen Bach, während es im Schilf leise tuschelt und sich gurgelnd der Panzer einer Schildkröte aus dem Wasser hebt. Auf der anderen Seite grasen zwei Rehe, die gelassen einen Schritt zur Seite machen. Zu ihren Füßen tummelt sich eine Hasenfamilie, und ein paar Fernfer huschen durchs Unterholz. Sarik liebt das ruhige Spiel des Waldes, das ihn nicht fürchtet. Alle Bäume sind ihm vertraut. Er weiß, welche von ihnen hohl sind und welche Geschöpfe in ihnen hausen, weiß, über welche Wurzel man stolpern könnte, wäre man unvorsichtig, und manchmal bedauert er fast, dass er nie gestürzt ist.
    Schließlich erreicht er die Lichtung, auf der er seine Hütte gebaut hat, unter dem unveränderlichen Firmament, in dem immer nur Sterne stehen, nie Sonne und Mond. Es gibt weder Mittag noch Mitternacht im Blauen Wald, nur dieses Fenster ins Zwielicht der Ewigkeit. Kleine pastellfarbene Lichter hängen wachsam wie eine Schule junger Forellen über den Schindeln, dann schießen sie auf ein geheimes Signal in alle Richtungen davon.
    Hinter dem großen Sprossenfenster aber regt sich ein letztes, elfenbeinfarbenes Licht, ein unsteter Lampion, geschwungen von Kinderhand.
    Das Irrlicht ist zu Hause.
    Lächelnd geht Sarik zur Eingangstür. Von außen betrachtet wirkt seine Hütte schlicht und scheint Raum für höchstens zwei oder drei Zimmer zu bieten. In Wahrheit ist sie allerdings beträchtlich größer. Das Irrlicht schwebt ihm entgegen, und mit einem stillen Gruß öffnet Sarik die Tür und tritt ein.
    Ich bin zurück, denkt er und streichelt den kleinen, kalten Ball aus Licht, der seine Farbe ändert wie Sprühregen im Sonnenschein. Auf einmal ist er sehr müde.
    Er hängt seinen Dreispitz an den Haken und geht in Richtungseines Schlafzimmers. Das Irrlicht fliegt mit leisem Singsang voraus, und Kerzen entzünden sich auf seinem Weg, obwohl es kalt ist wie Schnee.
    »Ich werde mich eine Weile hinlegen«, sagt er. Er pflegt nur selten zu ruhen, doch eine bleierne Schwere zwingt ihn zu Bett.
    Bald darauf ist er eingeschlafen. Träume kommen zu ihm in seinem Schlaf.

    Im Traum treibt Sarik ziellos in der Leere, bis vor ihm der Umriss eines mächtigen Berges auftaucht. Langsam fliegt er um ihn herum und spürt die dumpfe Kraft in seinem Inneren, die langsam pulsiert wie ein großes, schläfriges Herz.
    Vorsichtig schiebt er sich durch den Felsen, bis er in der Dunkelheit eines blutroten Schattens gewahr wird. Er erhascht einen Blick auf schimmernde Schuppen, ahnt die riesigen Muskeln, den Schwefelatem und die Kreatur, zu der all dies gehört, und die so tief und fest schläft, dass die Vernichtung ganzer Welten sie nicht aufgestört hätte. Da ist nur der Zug riesiger Ketten und die Last des Fels über dem Titanenkörper, und einen Moment empfindet Sarik fast Mitleid für die stolze Kreatur.
    Borchiak der Große, erinnert Sarik sich seines alten Feindes. Er war einst einer von uns.
    Vor ihm wacht eine Statue, die einen Avatar der Wesenheiten darstellt, so lebensecht, als würde sie jeden Moment von ihrem Sockel steigen. Sie hält ein großes Schwert in den Händen, und ihre Augen sind mandelförmig und wie aus flüssigem Gold.
    Ihre Augen, denkt Sarik unvermittelt. Um uns an unsere Tat zu erinnern.
    Entsetzen packt ihn, und er flieht.
    Die Leere erstarrt zu Marmor, und Sarik merkt, dass er über den Boden einer weiten Halle wandert, in der mit dem Klang seiner Stiefel noch das Raunen vergangener Jahrhunderte nachhallt. Er kennt die hohen Fenster und die
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