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Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Titel: Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)
Autoren: Oliver Plaschka
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Feuerstelle gerutscht ist.
    »Was ist das?«, fragt er, aber April ist schwindlig und schlecht und kein Wort kommt ihr über die Lippen. Sie riecht nur den Schnaps in seinem Atem und spürt die gähnende Leere in ihm.
    »Wo hast du das her?«, schreit er und schlägt sie abermals.
    »Ein Geschenk …«, keucht sie, doch ein Tritt bringt sie zum Schweigen. »Du bist eine Lügnerin«, sagt er und steckt die Brosche ein. »Eine Lügnerin und eine Diebin.«
    Die Brosche sieht sie die nächsten vier Jahre nicht wieder.
    Ihr Vater ist am nächsten Morgen immer noch da.

    Natürlich sehen die anderen ihre Verletzungen, aber keiner fragt danach. Nur Todd wirft einen ängstlichen Blick auf ihr geschwollenes Gesicht und hätte vielleicht etwas gesagt, aber er findet nicht die richtigen Worte, und April hilft ihm nicht dabei.
    Sie selbst tut, als wäre nichts geschehen, und so spielen die Kinder bald wieder wie zuvor im Wald, wann immer sie es schaffen, ihren häuslichen Pflichten zu entkommen – oder die Pflichten, wie in Aprils Fall, nicht mehr fähig sind, ihren Sessel zu verlassen.
    Solange April ihr geheimes Lager hat, kann sie alles andere vergessen.
    Dann, eines Tages, als sie sich gerade weggestohlen hat und nach Todd und den anderen sucht, findet sie das Lager zertrampelt, den Staudamm zerstört, und Todd entkräftet an einen Baumgefesselt. Er hat sich in die Hosen gemacht und blutet an den Handgelenken, wo die Fesseln ihm ins Fleisch schneiden.
    Eilig bindet sie ihn los und müht sich, aus ihm herauszubekommen, was geschehen ist, doch er vergräbt den Kopf in ihrem Schoß und weint, bis ein lautes Kichern aus dem Dickicht ihn von einer Antwort entbindet. Als Übeltäter geben sich die beiden Kaufmannssöhne zu erkennen, die Nell seit einiger Zeit schon den Hof machen.
    »Na los«, grinst der eine. »Küss das Baby.«
    »Gib ihm die Brust«, lacht der andere.
    April überlegt nur kurz. Sie steht auf, nimmt einen angespitzten Stock, der für die neue Palisade bestimmt war, und stößt ihn dem größeren der Brüder, der sich vor Lachen kaum noch halten kann, ins Herz. Zumindest ist es das, worauf sie zielt, doch er duckt sich im letzten Moment, und der Speer durchbohrt seine Schulter.
    Das Resultat ist einen kurzen Moment sehr befriedigend, auch wenn der Anblick des vielen Blutes sie verstört. Das Nachspiel aber wird schlimmer, als selbst die Kaufmannssöhne es hätten bereiten können.
    Aprils Vater verspricht dem Vater des Geschädigten (welcher Zeit seines Lebens einen lahmen Arm behalten wird), persönlich für die Züchtigung seiner Tochter zu sorgen, worauf nach zusätzlicher Zahlung einer Summe, die einem anständigen Küfer zumutbar ist, alle Ansprüche abgegolten sind. Es gelingt ihm, diese Demonstration väterlichen Geschäftssinns derart beeindruckend zu gestalten, dass keiner der beiden Söhne noch das Bedürfnis verspürt, April das Leben schwer zu machen: Man sieht sie erstmals einen Monat später wieder auf der Straße.
    Todd wird der weitere Umgang mit ihr verboten, und im Jahr darauf zieht seine Mutter mit ihm zu einem Onkel nach Melnor, ohne sich bei irgendwem in Gabors Furt zu verabschieden. Die kleine graue Katze lassen sie zurück, und manchmal stellt April ihr eine Schale Milch vor die Tür des alten Gerberhauses, weilsie jetzt der einzige Freund ist, den sie noch hat. Maisie traut sich nicht mehr in ihre Nähe, und Gus interessiert sich nur noch für seine Regenwürmer, die er mit Abfällen mästet und manchmal auch isst.
    Mit vierzehn Jahren wünscht sich April den Tod.
    Mit fünfzehn wünscht sie sich den Tod ihres Vaters.
    Weil sie den Gedanken daran nicht erträgt und niemanden sonst mehr zum Reden hat, erzählt sie Bruder Tito davon. Zu diesem Zeitpunkt arbeitet sie häufig in seinem Haushalt, macht seine Wäsche und kocht ihm das Essen. Sie ist nun sechzehn, und Bruder Tito ist sehr interessiert daran, mehr über das seltsame Mädchen zu erfahren, das seinem Vater so viel Kummer bereitet. Er ermutigt April, ihm ihre Geheimnisse anzuvertrauen – und verspricht ihr, dass alles, was sie ihm erzählt, zwischen ihnen und dem Ohr des Geteilten bleiben wird.
    Gleichzeitig werden seine Annäherungen von Woche zu Woche unverhohlener. Als er sie eines Tages bei den Beinen packt und nicht mehr loslässt, schlägt sie mit dem Fleischhammer nach ihm. Er ist einfach das Erste, was sie zu fassen bekommt; die Messer hätten direkt daneben gelegen.
    Natürlich will Aprils Vater von Bruder Tito erfahren,
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