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Das Lächeln des Cicero

Das Lächeln des Cicero

Titel: Das Lächeln des Cicero
Autoren: Steven Saylor
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eigenen Vater ermordet! Die Justiz hatte mich in ihren
Klauen, und ich bin ihr entwischt!<
    Ihn so reden zu
hören, ließ das Blut in meinen Ohren sausen. Stellt euch
vor, was ich, verborgen im dunklen Flur, empfunden habe, als Sextus
filius sein Verbrechen gestand, und es gab keine anderen Zeugen
außer mir - außer mir und der Göttin. Ich
spürte sie in mir, und ich wußte, was ich zu tun
hatte.
    Offenbar war Sextus
auf dem Weg zum Schlafzimmer seiner Töchter - warum, kann ich
mir nicht vorstellen. Er war so betrunken, daß er sich
wahrscheinlich im Zimmer geirrt hatte. Er wollte gerade eintreten,
aber es wäre nicht in meinem Sinne gewesen, wenn er die
Mädchen geweckt hätte. Ich zischte ihn an, und er schrak
heftig zusammen. Ich kam näher, und er wich zurück. Ich
sagte, er solle mit mir auf den Balkon kommen.
    Das Mondlicht war
grell wie das Auge der Diana. Und in dieser Nacht ist sie
wahrscheinlich eine Jägerin, und Sextus war ihre Beute.
Mondlicht umfing ihn wie ein Netz. Ich verlangte, daß er mir
die Wahrheit sagte. Er starrte mich an; ich sah, daß er seine
Chancen abwog, mit einer Lüge davonzukommen, genau wie er alle
anderen angelogen hatte. Aber das Mondlicht war zu stark. Er
lachte. Er schluchzte. Er sah mich an und sagte: >Ja! Ja, ich
habe deinen alten Liebhaber ermordet! Vergib mir!<
    Er hatte mir den
Rücken zugewandt. Er stand noch immer einige Schritte vom Rand
des Balkons entfernt. Ich wußte, ich hätte ihn nie bis
zur Brüstung schaffen und hinüberstoßen können,
trotz seiner Trunkenheit und der Kraft, die das Mondlicht mir
gegeben hatte. Ich betete zur Göttin, sie möge ihn
näher an den Rand treten lassen. Doch die Göttin hatte
mich bis hierher geführt, und ich wußte, daß ich die
Sache nun alleine zu Ende bringen mußte.«
    »Also hast
du«, sagte ich, »die Nadel aus deinem Haar gezogen.
«
    »Ja, dieselbe,
die ich zum Prozeß getragen habe, verziert mit
Lapislazuli.«
    »Und du hast sie
ihm sauber durch den Hals gestoßen, vom Nacken bis zur
Kehle.«
    Ihre angespannten
Gesichtszüge sackten in sich zusammen. Sie ließ die
Schultern hängen. »Ja, so muß es wohl gewesen sein.
Er hat überhaupt nicht geschrien, er hat nur ein
merkwürdig gurgelndes und würgendes Geräusch
gemacht. Ich zog die Nadel wieder heraus; es war fast kein Blut
daran. Er griff sich an die Kehle und taumelte vorwärts. Er
stieß gegen die Brüstung, und ich dachte, er müsse
bestimmt fallen. Aber statt dessen blieb er stehen. Also hab ich
ihn gestoßen, mit aller Kraft. Er hat keinen Laut von sich
gegeben. Als nächstes hörte ich, wie sein Körper auf
der Treppe aufschlug.«
    »Und dann bist du
auf die Knie gefallen«, sagte ich.
    »Ja, das stimmt,
ich habe gekniet...«
    »Du hast
über den Rand geschaut und die Brüstung umklammert - so
fest, daß du dir an dem Stein einen Nagel abgebrochen
hast.«
    »Schon
möglich. Daran kann ich mich nicht mehr
erinnern.«
    »Und was ist aus
der Nadel geworden?«
    Sie schüttelte
verwirrt den Kopf. » Ich glaube, ich hab sie wohl in die
Dunkelheit geworfen. Wahrscheinlich liegt sie irgendwo im
Gras.« Nachdem sie ihre Geschichte erzählt hatte, schien
auf einmal alle Energie von ihr zu weichen. Ihre Augen flackerten,
und sie sank wie eine verwelkte Blume in sich zusammen. Rufus war
sofort an ihrer Seite. »Mein lieber Junge«,
flüsterte sie, »würdest du so lieb sein, mich in
meine Gemächer zu begleiten?«
    Tiro und ich
verabschiedeten uns unzeremoniell von den Weihrauchdüften und
dem gedämpften Wehklagen der Sklavinnen in dem
Heiligtum.
    *
    »Was für ein
Tag«, seufzte Tiro, als wir das Haus seines Herrn betraten.
»Und was für eine Nacht!«
    Ich nickte müde.
»Mit etwas Glück kriegen wir vielleicht noch eine Stunde
Schlaf, bevor die Sonne aufgeht.«
    »Schlafen? Ich
kann jetzt unmöglich schlafen. In meinem Kopf dreht sich
alles. Der Gedanke, daß Sextus Roscius heute morgen noch
gelebt hat... und Sulla noch nie von Cicero gehört hatte...
und ich hab ehrlich geglaubt -«
    »Was?«
    Doch er
schüttelte nur den Kopf. Cicero hatte ihn schrecklich
enttäuscht, aber Tiro würde kein Wort gegen ihn sagen.
Ich folgte ihm ins Arbeitszimmer seines Herrn, wo in Erwartung
seiner Rückkehr eine Lampe angezündet worden
war.
    Er sah sich im Raum um
und ging dann zu dem Stapel Schriftrollen, die Sulla vom Tisch
gestoßen hatte. »Die kann ich genausogut jetzt
aufräumen«, seufzte er und kniete nieder. »Dann hab
ich wenigstens etwas zu tun.«
    Ich lächelte
über
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