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Das Lächeln des Cicero

Das Lächeln des Cicero

Titel: Das Lächeln des Cicero
Autoren: Steven Saylor
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»Wonach suchst
du eigentlich?«
    Wir gingen zweimal die
gesamte Länge der Brüstung ab, ohne Erfolg. Ich stand auf
und zuckte mit den Schultern. »Es war nur so eine Idee. Wenn
Sextus Roscius tatsächlich aus eigenem Willen gesprungen ist,
wäre es nur logisch, daß er vor dem Sprung auf die
Brüstung gestiegen wäre. Ich hatte gehofft, daß man
vielleicht die Ahnung eines Fußabdrucks in dem feinen Staub
sieht.«
    Ich drehte meine
Hände unter dem Licht der Lampe um und betrachtete den feinen
Staub, der vermischt mit kleinen Kiesbrocken an meinen Handballen
klebte. Ich wollte mir gerade den Schmutz abklopfen, als ich ein
winziges Teilchen entdeckte, das völlig anders aussah als die
anderen. Es war größer und glänzte, mit glatten,
scharfen Kanten; statt blaßgrau schimmerte es im Licht der
Lampe mattrot. Ich drehte es mit dem Finger um und bemerkte,
daß es gar kein Sternchen war.
    »Was ist
es?« flüsterte Rufus und drängte sich neben mich.
»Klebt Blut daran?«
    »Nein«,
sagte ich, »aber etwas, das die Farbe von getrocknetem Blut
hat.«
    »Aber das ist
Blut!« sagte Tiro. Während Rufus und ich die
Brüstung inspizierten, hatte er sich eine eigene Lampe
genommen und die Steinplatten des Balkons in sicherem Abstand vom
Rand untersucht. Direkt vor seinen Füßen waren, so
winzig, daß wir sie vorher nicht bemerkt hatten, ein paar
Spritzer einer dunklen Flüssigkeit auf dem Boden zu sehen. Die
Blutstropfen waren am Rand schon eingetrocknet, in der Mitte jedoch
noch feucht.      
    Ich machte einen
Schritt zurück und deutete mit der Hand eine Linie an.
»Dort, auf dem Boden des Balkons, haben wir Blutstropfen.
Dort, direkt davor auf der Brüstung, habe ich das hier
gefunden.« Ich hielt das rote Teilchen vorsichtig zwischen
Zeigefinger und Daumen. »Und direkt darunter ist die Stelle,
wo Sextus Roscius auf die Treppe aufgeschlagen
ist.«
    »Was hat das zu
bedeuten?« fragte Rufus.
    »Sag mir erst
dies: Wer war heute abend sonst noch auf diesem
Balkon?«
    »Nur Roscia und
ich, soweit ich weiß. Und natürlich Sextus
Roscius.«
    »Keiner der
Sklaven? Oder Roscius’ Frau?«
    »Das glaube ich
nicht.«
    »Nicht einmal
Caecilia?«
    Rufus schüttelte
den Kopf. »Da bin ich mir ganz sicher. Als ich ihr die
schlechte Nachricht überbrachte, sagte sie, sie wolle nicht
einmal in die Nähe dieses Flügels kommen. Sie hat ihren
Sklaven befohlen, Sextus’ Leiche zur rituellen Reinigung in
ihr Privatheiligtum zu bringen.«
    »Ich verstehe.
Kannst du mich jetzt zur Leiche bringen?«
    »Aber
Gordianus«, flehte Tiro, »was hast du
entdeckt?«
    »Daß Roscia
ihren Vater nicht ermordet hat.«
    Seine Stirn
glättete sich, aber sie bewölkte sich gleich wieder mit
neuem Zweifel. »Aber wenn er gesprungen ist, wie erklärst
du dir dann das Blut?«
    Ich legte die Finger
auf meine Lippen. Tiro verfiel gehorsam in Schweigen, aber ich
hatte ihm gar nicht andeuten wollen, den Mund zu halten; ich hatte
nur abergläubisch das kleine Teil geküßt, das ich
noch immer zwischen Daumen und Zeigefinger hielt, und gebetet,
daß ich mich nicht irrte.
    Die Türen zum
Heiligtum von Caecilias Göttin waren fast verschlossen, aber
der Duft von Weihrauch und das Klagegeschrei ihrer Sklavinnen
drangen trotzdem auf den Flur. Ahausarus stand Wache und
schüttelte finster den Kopf, als wir versuchten, den Raum zu
betreten. Rufus packte meinen Arm und hielt mich
zurück.
    »Halt, Gordianus.
Du kennt doch die Regeln in Caecilias Haus. Männer dürfen
das Heiligtum der Göttin nicht betreten. «
    »Es sei denn, sie
sind tot?« blaffte ich ihn an.
    »Sextus Roscius,
der Sohn des Sextus Roscius, ist von der Göttin gerufen
worden«, säuselte Caecilia, die auf einmal hinter uns
stand. »Sie hat ihn an ihren Busen gerufen.«
    Ich drehte mich um und
sah eine verwandelte Frau. Caecilia stand sehr gerade, den Kopf
stolz zurückgeworfen. Anstatt ihrer Stola trug sie ein weites,
bauschiges Gewand, das in tiefstem Schwarz gefärbt war. Ihr
Haar war für die Nacht gelöst und fiel in langen
wallenden Locken auf ihre Schultern. Die verschiedenen Schichten
Schminke waren weggewischt. Faltig und ramponiert legte sie
nichtsdestoweniger eine Vitalität und Entschlossenheit an den
Tag, die ich bei ihr nie zuvor erlebt hatte. Sie schien weder
wütend noch erfreut, uns zu sehen, als ob unsere Gegenwart
ohne Bedeutung für sie wäre.
    »Die Göttin
mag Sextus Roscius zu sich gerufen haben«, sagte ich,
»aber ich würde, wenn ich darf, Caecilia Metella,
trotzdem sehr
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