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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens
Autoren: Guy Gavriel Kay
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es jedenfalls diese ganze lange Zeit.«
    Daraufhin fasste ihn Guinevere ins Auge und versuchte, ihn voller Wissbegierde zu fixieren: »Du bist doch der, den Dave in den Wäldern getroffen hat«, vermutete sie.
    Er nickte. »Dieser Lange mit der Axt? Ja, den habe ich getroffen. Die grüne Ceinwen hat ihm danach ein Horn gegeben.«
    »Ich weiß«, bestätigte sie.
    »Oweins Horn.«
    Und gerade in diesem Augenblick tobte im Osten, an den blutbefleckten Ufern des Adein unter einem dunkelnden Himmel eine Schlacht, und diese Schlacht sollte damit enden, dass dieses Horn geblasen wurde.
    Auf dem Dock aber blickte Flidais zu der hochgewachsenen Frau mit den grünen Augen empor. Er allein in ganz Fionavar hatte Grund, sich an sie seit langer, langer Zeit zu erinnern.
    »Ist dies die einzige Erinnerung, die du an mich hast«, wollte er wissen. »… dass ich deinen Freund gerettet habe?«
    Brendel saß im Boot und schwieg. Er beobachtete, wie die Frau sich zu erinnern suchte. Sie schüttelte den Kopf. »Müsste ich dich kennen?« fragte sie.
    Flidais lächelte. »Vielleicht nicht in dieser Form.« Seine Stimme wurde sogar noch tiefer, und plötzlich sang er: »Ich hatte viele Formen. Ich war die Schneide eines Schwertes, ein Stern, eine strahlende Laterne, eine Harfe und ein Harfner zugleich.« Er hielt ein, sah, wie etwas in ihren Augen auffunkelte, und schloss etwas schüchtern: »Auch wenn ich klein bin, habe ich in einer Schlacht vor dem Herrscher von Britannien gefochten.«
    »Ich erinnere mich ! .« sagte sie und lachte jetzt. »Weises Kind, verwöhntes Kind. Du liebtest Rätsel, nicht? Ich erinnere mich an dich, Taliesin.« Sie stand auf. Brendel sprang zum Dock und half ihr an Land.
    »Ich hatte viele Formen«, wiederholte Flidais, »aber einst war ich sein Harfner.«
    Sie nickte, groß stand sie auf dem steinernen Dock, sie blickte auf ihn hinab, und in ihren Augen und um ihren Mund spielten die Erinnerungen. Dann trat eine Veränderung ein. Die Männer sahen es und verstummten mit einem Mal.
    »Du bist doch mit ihm gesegelt?« fragte Guinevere. »Du bist in der ersten Prydwen gesegelt.«
    Flidais’ Lächeln verschwand. »So ist es, Lady«, bestätigte er. »Ich fuhr mit dem Krieger nach Caer Sidi, das hier Cader Sedat heißt. Ich habe darüber geschrieben, über diese Reise. Sicher erinnert Ihr Euch.« Er holte Luft und rezitierte:
    »Dreimal soviel, wie Prydwen fasste, waren wir, als wir mit Arthur gingen, außer sieben kam niemand zurück vor …«
    Auf einen Wink von ihr unterbrach er sich. Wehe. So standen sie einen Augenblick lang. Die Sonne sank ins Meer. Mit der Dunkelheit kam auch ein leichter Wind auf. Brendel beobachtete, aber obwohl er nur halb verstand, worum es ging, fühlte er sich von einem namenlosen Schmerz übermannt, als das Licht verging. In der Dunkelheit schien Guineveres Gesicht kühler und strenger zu werden. Sie stellte fest: »Du warst also dort. Dann kennst du auch den Weg. Bist du mit Amairgen gesegelt?«
    Flidais wich aus, als hätte er einen wirklichen Schlag erhalten. Er holte zitternd Luft, und er, der ein Halbgott war und die Mächte von Pendaran seinem Willen unterwerfen konnte, erklärte in einer Stimme voll demütiger Unterwerfung: »Ich bin niemals ein Feigling gewesen, Lady, in keiner Form. Ich bin einmal in einer anderen Gestalt zu diesem verfluchten Platz gesegelt. Aber dies ist meine wirkliche Gestalt und dieser Wald meine wirkliche Heimat in dieser ersten von allen Welten. Wie sollte ein Wächter des Waldes zur See fahren, Lady? Was hätte es genützt? Ich sagte ihm, ich sagte Amairgen, was ich wusste … dass er mit dem Nordwind nach Norden segeln soll … und er betonte, er wisse, wo und wann er dies tun müsse. Das habe ich getan, Lady, und der Weber weiß, dass die Andain selten soviel für die Menschen tun.«
    Er verstummte. Ihr Blick war teilnahmslos und fern. Dann deklamierte sie plötzlich:
    »Das Lob versage ich den Männern mit schleppenden Schilden. Sie wissen nicht, an welchem Tag der Führer sich erhob, als wir fortzogen mit Arthur in trauervollem Gedenken ,..«
    »Ich habe das geschrieben!« protestierte Flidais. »My Lady Guinevere, das habe ich geschrieben.«
    Es war nun ganz dunkel auf dem Weg, aber mit dem scharfen Gesichtssinn der Lios Alfar konnte Brendel sehen, wie die Kälte aus ihrem Gesicht wich. Mit sanfter Stimme sagte sie jetzt: »Ich weiß, Taliesin, Flidais, ich weiß, dass du es geschrieben hast, und ich weiß auch, dass du mit ihm dort warst.
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