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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens
Autoren: Guy Gavriel Kay
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Armleuchter, die in der Wand des Treppenhauses angebracht waren, und entzündete sie, verteilte die Kerzen in dem einen hochgelegenen Raum und zündete auch sie an.
    In ihrem Licht fiel ihm auf, dass der Boden von einer Staubschicht bedeckt war, während das Bett merkwürdigerweise davon frei war. Und dann sah er etwas anderes, etwas, das selbst sein weises, wissendes Blut erstarren ließ.
    In diesem Staub sah er Fußstapfen, es waren aber nicht seine eigenen, und sie führten zu jenem Bett hinüber. Auf dem Bettüberwurf …, der, wie er wusste, von Meistern dieser Kunst in Seresh gewoben worden war … lag eine Menge von Blumen: Rosen, Sylvain und Corandiel. Doch es waren nicht die Blumen, die seinen Blick festhielten.
    Die Kerzen flackerten in der salzigen Brise, die vom Meer herüberwehte, aber sie leuchteten stetig genug, dass er seine eigenen kleinen Fußabdrücke im Staub sehen konnte, und neben ihnen die Fußabdrücke des Mannes, der in den Raum gekommen war, um diese Blumen auf den Bettüberwurf zu legen.
    Und die des riesigen Wolfes, der weggegangen war.
    Sein Herz schlug rasend schnell, aber die Angst in ihm wurde von Mitleid überschattet, und er ging hinüber zu dieser leuchtend ausgebreiteten Fülle von Blumen. Er bemerkte, dass sie nicht dufteten. Er streckte die Hand aus, aber sobald er sie berührte, zerfielen sie zu Staub auf dem Bettüberwurf. Überaus behutsam kehrte er den Staub weg.
    Er hätte die Macht gehabt, den Boden allein durch seine Anwesenheit aufleuchten zu lassen. Er tat es nicht, auch nicht in seinen eigenen Räumen unter dem Waldboden. Statt dessen ging er die Treppen nochmals hinab und fand in einem der unteren Zimmer einen robusten Handbesen; und dann kehrte Flidais mit schwungvollen Bewegungen, die von langer Gewohnheit zeugten, im Mondschein und im Kerzenlicht Lisens Kammer aus und bereitete sie für Guinevere vor.
    Rechtzeitig, denn selbst in den düstersten Zeiten war er verspielt und zum Lachen aufgelegt, begann er zu singen. Es war ein Lied, das er selbst gewebt und gewirkt hatte, das aus uralten Rätseln geschaffen war und aus den Antworten, die er darauf gefunden hatte.
    Er sang auch, weil er in jener Nacht von Hoffnung erfüllt war – Hoffnung auf diese Frau, die da kommen sollte, Hoffnung darauf, dass sie vielleicht die Antwort auf das Verlangen seines Herzens haben würde.
    Seine Anwesenheit war stark und hell, und im ganzen Anor brannten die Fackeln und die Kerzen. Der Geist von Gereint musste ihn spüren, wie er da sang und mit ausgreifenden Bewegungen des Besens den Staub wegkehrte; denn die Seele des Schamanen zog oben vorüber, damit die Erkenntnisse des Landes über dem nie gesehenen Meer immer weiter wehen und taumeln sollten, denn es ging darum, unter all den Wellen ein einzelnes Schiff zu finden.
     
    Als die Sonne am folgenden Abend zu seiner Linken unterging, lenkte Brendel das Boot durch die Bucht und vorbei an der Flussmündung bis hin zu dem kleinen Anlegeplatz an den Fundamenten des Turmes.
    Die oberen Lichter hatten sie bereits erblickt, als sie in die Bucht einfuhren. Und als sie nun näher kamen, sah der Lios Alfar einen untersetzten weißbärtigen Mann, dessen Haupthaar sich lichtete und der noch kleiner war als ein Zwerg. Er wartete auf sie an der Anlegestelle, und da er selbst ein Lios Alfar und mehr als sechshundert Jahre alt war, hatte er eine Ahnung, wer das sein konnte.
    Er lenkte das kleine Fahrzeug sacht zum Dock hin und warf ein Seil aus, als sie sich näherten. Der kleine Mann fing es mühelos auf und schlang das Ende um einen Pfosten, der an der steinernen Anlegestelle angebracht war. So verharrten sie nur einen Augenblick in Schweigen, ließen sich von den Wellen schaukeln. Brendel bemerkte, dass Guinevere zum Turm hinaufschaute. Er folgte ihrem Blick und sah, wie das Leuchten des Sonnenuntergangs von dem gekrümmten Glas hinter dem Geländer reflektiert wurde.
    »Seid willkommen«, begrüßte sie der Mann auf dem Dock in einer unerwartet tiefen Stimme. »Leuchten möge der Faden eurer Tage.«
    »Und der deinigen, Waldbewohner«, erwiderte der Lios Alfar. »Ich bin Brendel vom Kestrelsiegel. Die Frau, die mit mir ist …«
    »Ich weiß, wer sie ist«, kam ihm der andere zuvor. Und verneigte sich ganz tief.
    »Wie sollen wir dich nennen?« fragte Brendel.
    Der andere richtete sich auf. »Zum Schutz bin ich verkehrt und verwirrt, zur Täuschung gescheckt und gefleckt«, sagte er versonnen. Und dann: »Der Name Flidais wird genügen. So war
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