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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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sie die Stimme aus Dun Maura gehört, wie sie über Maidaladan geschrien hatte, es war die Todesklage über das freiwillige Opfer. Und damit kreisten ihre Gedanken zurück zu jenem, der Liadon geworden war: Es war Kevin Laine, der von Silbermantel aus einer anderen Welt hierhergebracht worden war, um ein Schicksal zu erleiden, das sowohl düster wie auch blendend hell war, ein Schicksal, das nicht einmal die Seherin hätte ahnen können.
    Soviel Jaelle auch erfahren hatte, so sehr sie in der Natur der Göttin aufging, so empfand sie doch Kevins Tat so überwältigend, so vollendet hingebungsvoll, dass sie die Klarheit, mit der sie einst die Welt gesehen hatte, unwiderruflich trübte. Er war ein Mann, und dennoch hatte er diese Tat vollbracht. Seit Maidaladan war es soviel schwerer geworden, den alten Zorn, den alten Hass, die alte Bitterkeit heraufzubeschwören. Oder genauer gesagt, es war schwerer geworden, sie für irgend jemand oder irgend etwas zu empfinden außer Rakoth.
    Der Winter war vorüber. Das Rufglas war aufgelodert. Da oben irgendwo im Norden in der Dunkelheit herrschte Krieg. Und ein Schiff segelte nach Westen.
    Dieser Gedanke führte sie zurück zu einem Strand im Norden von Taerlindel, wo sie beobachtet hatte, wie Pwyll, der andere Fremde, am Rande des Wassers den Seegott beschworen hatte und in einem übermenschlichen Licht zu ihm sprach. Für keinen von ihnen war irgend etwas so leicht, das wussten Dana und der Weber, aber Pwyll schien eine so unerbittlich fordernde Kraft zu haben, die ihm viel entzog und, soweit sie jedenfalls sehen konnte, nicht viel zurückgab.
    Sie erinnerte sich, dass sie auch ihn mit einer kalten, niemals verzeihenden Wut gehasst hatte, als sie ihn vom Sommerbaum in diesen Raum, in dieses Bett geholt hatte, wissend, dass die Göttin zu ihm gesprochen hatte, nicht wissend jedoch, was sie gesagt hatte. Sie erinnerte sich, dass sie ihn geschlagen hatte, so dass das Blut hervorquoll, das alle Männer vergießen sollten, aber sie war dabei über das vorgeschriebene Maß hinausgegangen. »Rahod hedai Liadon«, sangen die Priesterinnen unter der Kuppel und beendeten die Klage mit einem letzten, langen, durchdringenden Ton. Unmittelbar darauf hörte sie Shiels klare Stimme, die die Wechselgesänge der Abendanrufung einleitete. Ein gewisser Friede, ein wenig Trost lag selbst jetzt noch in diesen Zeiten der Dunkelheit in diesem Ritual, dachte Jaelle. Ihre Zimmertür wurde aufgerissen. Auf der Schwelle stand Leila.
    »Was tust du?« rief Jaelle aus. »Leila, du solltest jetzt unter der Kuppel sein, zusammen mit …«
    Sie unterbrach sich. Die Augen des Mädchens waren weit aufgerissen, sie starrten ins Leere. Leila aber sprach wie in Trance und unbeirrbar: »Sie haben das Horn geblasen … in der Schlacht. Jetzt ist er im Himmel, über dem Fluss … Finn. Und die Könige. Ich sehe Owein im Himmel, er zieht ein Schwert. Auch Finn zieht ein Schwert. Sie sind … Sie sind …« Ihr Gesicht war kreideweiß, ihre Finger an ihren Hüften gespreizt. Sie gab einen dünnen Ton von sich.
    »Sie töten«, stieß sie hervor. »Sie töten die Svarts und die Urgach, Finn ist blutbedeckt. Oh, soviel Blut. Und jetzt Owein, er ist … er ist …«
    Jaelle sah, wie die Augen des Mädchens noch wahnsinniger flackerten, und ihr Herz wurde matt.
    Leila rief gellend: »Finn, nein! Halt ihn auf! Sie töten uns!« Wieder schrie sie auf und wortlos taumelte sie vorwärts, fiel und vergrub ihren Kopf in Jaelles Schoß, ihre Arme umklammerten die Priesterin, sie zuckte am ganzen Körper.
    Unter dem Kuppelgewölbe wurden die Gesänge unterbrochen. Dann hörte man eilige Schritte in den Gängen. Jaelle hielt das Mädchen, so fest sie nur konnte. Leila schlug so heftig um sich, dass die Hohepriesterin wirklich befürchtete, sie könnte sich verletzen.
    »Was ist los? Was ist geschehen?«
    Sie blickte auf und sah Sharra von Cathal auf der Türschwelle.
    »Die Schlacht«, keuchte sie und versuchte Leila festzuhalten. Die Tränenausbrüche des Mädchens erschütterten noch ihren eigenen Körper. »Die Jagd. Owein. Sie ist geistig verbunden mit …«
    Und dann hörten sie die Stimme. »Himmelskönig, steck dein Schwert in die Scheide. Ich unterwerfe dich meinem Willen!« Es schien von nirgendwo und von überall her in den Raum zu kommen, die Worte waren klar, kalt und bis zum äußersten gebieterisch.
    Leilas heftige Bewegungen hörten auf. Sie lag nun ruhig in Jaelles Armen. Alle schwiegen: die drei in Jaelles Gemach

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