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Das Karpaten-Projekt

Das Karpaten-Projekt

Titel: Das Karpaten-Projekt
Autoren: Werner Schmitz
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Ihnen damals die Schuld für Ceausescus verunglückte Bärenjagd in die
Schuhe geschoben hat. Er hat Ihr Leben zerstört, Misch. Ich kann verstehen,
dass Sie ihn hassten.«

    Merres antwortete nicht sofort. Mit der gesunden Hand
tastete er sein Gesicht ab, Mund, Nase, Stirn. Als seine Fingerspitzen die
kahle Schädeldecke berührten, stöhnte er auf und ließ die Hand sinken.

    »Er hat mir noch Geld abgenommen«, flüsterte er. »Deutsches
Geld, damit ich ausreisen durfte. Meine Schwester hat es mir gebracht, damit
ich ihn bestechen konnte. Dreißigtausend Mark. Er war Spitzel bei der securitate. Wenn er Nein gesagt hätte,
wär ich nicht rausgekommen aus Rumänien.«

    Merres schloss die Augen und stöhnte. Ein Zittern durchlief
seinen Körper.

    »Woher wussten Sie, wo Hulanu an dem Abend war, Merres?«

    »Ich bin euch gefolgt«, sagte er von weit weg. »Ihnen und
Teddy. Dann kam Hulanu mit seinen Leuten. Er hat sie in die Dickung geschickt,
das feige Schwein. Als die anderen weg waren, hab ich ihn erschossen.«

    Hannes sah Steinkamp an. Der Alte nahm seinen Hut ab und
betete. »Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name. Dein
Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel also auch auf Erden. Unser
täglich Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben
unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von
dem Übel. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in
Ewigkeit. Amen.«

    Als Schreiber die Augen öffnete, war der Merresmisch tot.

     

36

    Katharina konnte es nicht glauben, nicht nach allem, was
passiert war. Sie ließen sie frei. Einfach so. Ohne Begründung, ohne
Entschuldigung. »Der Haftbefehl ist aufgehoben«, hatte die Direktorin ihr
gestern Abend gesagt, »Sie werden morgen abgeholt. Packen Sie Ihre Sachen, doamna Orend.«

    Seit einer Stunde saß sie im Zimmer neben der Pforte.
Ihre Augen folgten dem Sekundenzeiger der Wanduhr. Schrittchen für Schrittchen
kreiste er auf dem Zifferblatt, nahm den Minutenzeiger ein Stück mit, wenn er
oben angekommen war. Viertel vor zehn.

    Ein helles Viereck neben der Uhr markierte die Stelle, an
der einst ein Bild gehangen hatte. Katharina ahnte, wer darauf zu sehen gewesen
war: der scharfäugigste Falke der Karpaten. So hatte einer ihrer Lehrer in der
Honterus-Schule den Diktator genannt. Er meinte es todernst. Überall im Land
hatte Ceausescus Herrschaft Spuren hinterlassen, auf Gefängniswänden und in den
Köpfen der Menschen. Wie lange würde es noch brauchen, bis sie verschwanden?
Oder würden neue Gespenster auftauchen? Lag es am Land und seinen Leuten, dass
in Rumänien immer wieder solche Kreaturen an die Macht gelangten? Verrückte
Hohenzollernkönige, faschistische Diktatoren, durchgeknallte Kommunisten.
Katharina war hier geboren. War es auch ihr Heimatland? Sollte sie bleiben oder
gehen?

    Eine Stimme drang in ihr Grübeln, seine Stimme. »Ich
möchte Sie abholen, Katharina. Oder wollen Sie lieber noch bleiben?« Hannes
Schreiber hatte die Tür so leise geöffnet, dass sie nichts gehört hatte. Er
stand im Rahmen und lächelte sie an. Sie ließ ihre Tasche stehen, ging zu ihm,
nahm seine Hände und drückte sie. »Danke.« Mehr brachte sie nicht heraus.

    »Es war ganz einfach«, sagte er, »ich musste nur einen
Bären für Sie schießen.«

    Sie sah ihn fragend an, aber er schwieg. So standen sie
sich gegenüber, bis die Wärterin hinter der Tür hüstelte.

    Katharina holte ihre Tasche. »Ich war hier lange genug.«

    Auf dem Platz vor dem Knast parkte sein Wagen. Hannes
nahm ihr die Tasche ab und öffnete die Beifahrertür. Vorsichtig setzte sie sich
hinein.

    »Schmerzen?«, fragte er.

    »Nur bei unbedachten Bewegungen.«

    Er stieg ein, startete den Motor und fuhr los. Sie drehte
den Kopf und sah aus dem Rückfenster, bis der Knast verschwunden war.

    Schweigend verließen sie das Kaff, das sie nie
wiedersehen wollte. Auf der Landstraße angekommen, legte sie ihre Hand auf
seinen Arm. »Erzähl mir, wie es gelaufen ist, Hannes.« Es war das erste Mal,
dass sie ihn duzte. Das kalte ›Sie‹ wollte ihr nicht mehr über die Lippen.

    »Es ist eine lange Geschichte, Treni«, sagte er, »aber es
wird ja auch eine lange Fahrt.«

Dank

    Der Autor bedankt sich bei allen, die zum Entstehen dieses
Buches beigetragen haben, besonders bei Mario Damolin, Sara Dootz aus
Deutsch-Weißkirch/Viscri und ihren Töchtern Caroline und Gerhild, Katharina und
Hermann Kurmes
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