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Das Karpaten-Projekt

Das Karpaten-Projekt

Titel: Das Karpaten-Projekt
Autoren: Werner Schmitz
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nach Deutschland gelockt
hatte?

    Schreiber nahm einen letzten Zug und drückte die Kippe am
Boden aus. Müllbär, was für ein abfälliges Wort. Vom Braunbären erwarteten wir,
dass er für uns den edlen Wilden in den Wäldern mimte. Dass er die Reste fraß,
die wir im Konsumrausch übrig ließen, missfiel uns. Eigentlich war der Homo
sapiens eine viel merkwürdigere Art als Ursus arctos, fand Hannes.

    Im Tal fiel ein Flintenschuss, das Treiben hatte begonnen.
Die Hunde waren von der Leine. Ihr Hetzlaut klang den Hang herauf. Sonst blieb
alles ruhig. Selbst die Italiener im Gegenhang schossen noch nicht.

    Nach einer Weile hörte Schreiber ein Geräusch, das er
nicht sofort einordnen konnte: Ein Stampfen vermischt mit einem rhythmischen
Keuchen. Es klang wie die alte Dreschmaschine, die in der Scheune des Bauern
Munscheid gedröhnt hatte, als Hannes ein Junge war.

    Es war aber ein Bär auf der Flucht. Schreiber sah ihn im
Gegenhang rennen, ehe er in einem Dickicht verschwand. Der Bär war unglaublich
schnell unterwegs. Das hielt die Italiener nicht davon ab, das Feuer zu
eröffnen. Sechs Schüsse zählte Hannes, mindestens. Trotzdem tauchte das Tier −
oder war es ein anderes? – auf dieser Seite des Dickichts wieder auf.

    Wenn er die Richtung hielte, käme der Bär irgendwo
zwischen ihm und Steinkamp durch. Schreiber stand auf. Die Waffe so gut wie
schussbereit beobachtete er den Bären. Mitten in der Bewegung bremste das Tier
ab. Hunde brachen aus dem Unterholz und umkreisten den Petz. Sie schienen
Erfahrung mit Bärwild zu haben, hielten Abstand von den todbringenden Pranken,
verbellten den Braunen, ohne ihn zu attackieren.

    Das Ganze spielte sich achtzig Meter vor Steinkamps Stand
ab. Schreiber sah, wie der Alte das Gewehr anschlug und versuchte, das Blatt
des Bären ins Fadenkreuz zu bekommen. Als der Bär sich gegen einen der lästigen
Kläffer wandte, brach der Schuss. Hannes meinte, eine kleine Wolke auf der
Schulter des Bären zu erkennen: Schnitthaar, Staub, was auch immer. Das Tier
warf sich herum und ging auf einen anderen Hund los. Geschickt wich der Köter
aus, ließ den Bären ins Leere rennen. Dem Braunen knickten die Vorderläufe ein.
Er verharrte einen Augenblick in dieser bizarren Position, der Kopf schon auf
dem Waldboden, der Hintern noch in der Luft. Dann kippte er auf die Seite und
starb. Die Hunde zauselten das Fell des toten Bären, verloren aber bald das
Interesse und machten sich wieder auf die Jagd. Hubertus Steinkamp setzte sich
hin und lud nach.

    Besonders schwierig war Schreiber die Sache nicht vorgekommen.
Im Grunde ging es genauso wie bei einem Wildschwein. Man wartete, bis das Tier
breit stand und kein Hund in der Nähe war, und schoss dann möglichst sauber
aufs Blatt. Alles Nervensache, dachte er, besonders bei Bären.

    Bei den Italienern im Gegenhang setzte wieder das
Schießen ein. Eine Bärin mit zwei Jungen vom letzten Jahr drückte sich in die
Himbeeren oberhalb von Merres’ Stand. Einer der Hunde, semmelfarben, rauhaarig
und flink auf den Läufen, kam ihnen über den Hügelkamm entgegen. Die Nase fast
am Boden, jagte er stumm dahin. Die Bärin, deren Kopf über dem Beerenfeld
aufragte, roch ihn mit dem Wind kommen. Sie ließ sich zurück auf die
Vorderläufe fallen und führte ihre Jungen aus dem Verhau. Im Freien stellte sie
sich dem Hund.

    Schreiber beobachtete die Szene durch sein Fernglas. Die
Jungbären wichen nicht von der Seite ihrer Mutter, während der Hund die Gruppe
umtanzte. Weil er nicht bellte, kam ihm kein Artgenosse zu Hilfe. Schließlich
wurde es der Bärin zu dumm. Mit einem Satz war sie bei dem Plagegeist und
versetzte ihm einen Prankenhieb, der den Hund in die Himbeeren fliegen ließ.
Seine Därme hingen heraus.

    Bevor sich die Bärin wieder ihren Jungen zuwandte, fiel
der Schuss. Im Glas konnte Hannes erkennen, dass das Projektil einen der
Jungbären knapp hinter dem Schulterblatt traf und umwarf. Ritsch-Ratsch. Hannes
hörte den Merresmisch repetieren. Die abgeschossene Hülse flog auf den
Waldboden, eine neue Patrone glitt in den Lauf. Zwei Sekunden später brach der
zweite Jungbär im Büchsenknall zusammen. Verwirrt blickte sich die Bärin um.
Sie sah ihre Jungen am Boden liegen. Schreiber hatte das Gefühl, sie begreife
nicht, was los war. Ehe sie es herausbekam, drückte Merres ein drittes Mal ab.
Auch die Bärin war auf der Stelle tot.

    Hannes wusste nicht, was er denken sollte. Handwerklich
hatte Merres alles richtig gemacht: zuerst
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