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Das Jesusfragment

Das Jesusfragment

Titel: Das Jesusfragment
Autoren: Henri Loevenbruck
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da allerdings noch die Erbschaft. Er vermacht Ihnen sein gesamtes Vermögen, und Sie müssen entscheiden, was Sie damit tun wollen.«
    »Ich verstehe. Nun, sein Geld interessiert mich nicht, aber vielleicht gibt es noch persönliche Dinge meiner Mutter. Den Rest werde ich der Wohlfahrt spenden, damit erspare ich mir die Steuern, nicht wahr?«
    Paillet rieb sich das Kinn.
    »Ich habe hier die Aufstellung der Vermögenswerte, Damien. Ihre Eltern haben immerhin viele wertvolle Gemälde besessen, über die wir uns unterhalten sollten. Und sicherlich gibt es auch persönliche Dinge Ihrer Mutter in der Pariser Wohnung und vielleicht sogar welche in dem Haus in Gordes …«
    »Wo?«
    Er blickte mich an, ohne die Brille aufzusetzen, die er über die Stirn hinaufgeschoben hatte.
    »Gordes. Vor ungefähr zwei Jahren hat Ihr Vater ein Haus in der Provence gekauft. Wussten Sie das nicht? Dort geschah auch der Unfall. Gordes liegt übrigens im Département Vaucluse.«
    »Aber was, um alles in der Welt, hat er dort gemacht? Ich dachte, er hasste die Provinz!«
    Monsieur Paillet erwiderte nichts. Er wirkte verlegen. Dann reichte er mir ein Foto des Hauses.
    »Die … die Leiche … befindet sich noch dort?«, fragte ich und griff nach dem Foto.
    Es ist nicht einfach, das Wort Leiche auszusprechen, wenn man damit den eigenen Vater meint. Gewisse Tabus möchte man selbst als großer Zyniker nicht brechen.
    »Nein, er wurde nach Paris überführt, und wenn es Ihnen recht ist, findet die Beerdigung übermorgen statt.«
    »Auf dem Montparnasse?«
    Der Notar nickte sichtlich beschämt. Mein verdammter Vater hatte tatsächlich veranlasst, neben seiner Frau beerdigt zu werden. Auf einem Friedhof, den er kein einziges Mal besucht hatte, soviel ich wusste. Der Blick von Rechtsanwalt Paillet verriet mir, dass er sich vor meiner Reaktion fürchtete. Aber was er mir da offenbarte, brachte mich nicht aus der Fassung. Ich war nicht der Typ, der zu einem Grab ging, um zu weinen. Ich brauchte auch nicht das leere Symbol eines Grabsteins, um mich an Menschen zu erinnern. Der Alte hatte wohl geglaubt, sich sein Gewissen damit zurückkaufen zu können, dass er neben der Frau beerdigt wurde, die er verlassen hatte. Doch für mich änderte sich dadurch nichts. Ob er in Montparnasse oder anderswo beerdigt wurde, war egal, denn was geschehen war, war geschehen. Und für meine Mutter kam sein Ansinnen sowieso viel zu spät.
    Ich betrachtete das Foto. Es war ein Polaroid, auf dem man ein kleines schmales Steinhaus mitten in einem blühenden Garten erkennen konnte. Der Kauf eines solchen Hauses sah meinem Vater überhaupt nicht ähnlich! Aber wie gut kannte ich ihn wirklich? Immerhin hätte er sich im Laufe der Jahre ändern können. Soweit sich ein Mensch eben ändern kann.
    »Gordes ist eines der hübschesten Dörfer Frankreichs, wissen Sie, hoch auf einem Felsen gelegen, einfach entzückend!«
    Ich hörte nur halb zu und versuchte zu begreifen.
    »Wie hat sich der Unfall abgespielt?«
    »Es ist um zwei Uhr morgens passiert. Ihr Vater ist mit dem Wagen aus einer Kurve geschleudert worden und in eine Schlucht gestürzt, die nur fünf Minuten von seinem Haus entfernt lag.«
    »Wohin, um Himmels willen, wollte er um zwei Uhr morgens in diesem verschlafenen Dorf?«
    Monsieur Paillet zuckte die Schultern.
    Irgendetwas stimmte an der Geschichte nicht. Ich konnte mir das Ganze einfach nicht vorstellen. Allein, dass sich der Alte ein Haus in einem kleinen Dorf in Südfrankreich kaufte. Vielleicht gab es eine Frau dort unten? Der Notar war zweifellos nicht auf dem Laufenden …
    Mein Vater war in Paris geboren worden und hatte immer hier gelebt. Er hatte hier studiert, er hatte hier gearbeitet. In Paris hatte er meine Mutter kennen gelernt, in Paris hatte er sie geheiratet, in Paris hatte er ihr ein Kind gemacht und in Paris hatte er sie verlassen, als sie Krebs bekam. Er hasste das Land, hasste die Provinz; bereits ein Vorort war ihm zu weit von der Stadt entfernt. Ich fand keine einzige verdammte Erklärung dafür, weshalb er sich wie ein pensionierter Banker in den Süden abgesetzt hatte.
    »Ich würde gern seine Wohnung sehen«, erklärte ich schlicht und täuschte ein Lächeln vor.
    »Selbstverständlich. Achten Sie auf die Alarmanlage, ich gebe Ihnen den Code. Ihr Vater hatte wegen der Bilder eine hochmoderne Alarmanlage installieren lassen.«
    Der Notar war eindeutig bestrebt, das Gespräch so schnell wie möglich zu beenden. Ich wusste nicht, wie sich
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