Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Jesusfragment

Das Jesusfragment

Titel: Das Jesusfragment
Autoren: Henri Loevenbruck
Vom Netzwerk:
Gegensatz zu dem puritanischen Bild, das sich die Franzosen von Amerika machten, hatte ich im New Yorker Kabelfernsehen über so viel Freiheit verfügt, wie sie mir kein französischer Produzent hätte bieten können. In jeder Episode von Sex Bot erzählte ich bis in das kleinste Detail das bewegte Sexualleben eines bestimmten New Yorkers. Zeichnete ein Sittenbild ohne jegliches Tabu, ohne jegliche Zurückhaltung, aber, wenn möglich, mit einem Hauch von Zynismus. Homosexualität, Dreiecksverhältnisse, vorzeitiger Samenerguss, Partnertausch – je mehr ich offenbarte, desto größer war die Begeisterung. Natürlich hatte das amerikanische Fernsehen nicht auf mich gewartet, um über Sex reden zu können, aber ich glaube, ich war der erste Drehbuchautor, der so unverblümt die Wahrheit zeigte. Ich war der Erste, der im Fernsehen ein Kondom platzen ließ. Die ersten Diskussionen über den Schweißgeruch nach dem Sex? Mein Verdienst. Jeder Zuschauer kam auf seine Kosten. Die Sexbesessenen genossen die heißen Szenen, die Neurotiker fühlten sich weniger einsam, die New Yorker gefielen sich in ihrer Besonderheit, die übrigen Zuschauer gerieten in Ekstase oder taten so, als seien sie schockiert. Wenn man jemanden kennen lernte, bestand der neueste Trend darin, zu erraten, wer desjenigen Lieblingsfigur in meiner Serie war. Kurz gesagt, der Erfolg war sehr viel größer, als ich ihn mir erträumt hatte, und vor allem war er sehr viel schneller gekommen. Sex Bot war en vogue, trendy und zum richtigen Zeitpunkt erschienen. Plötzlich brauchte ich mir nicht mehr Monate voraus einen Platz in den besten Restaurants reservieren zu lassen. Mein Gesicht tauchte in allen Fernsehstudios und in den dümmsten Zeitschriften der Stadt auf. Dann landete ich in Maureens Armen, verfiel dem Kokain und endete bei einem auf Drogenentzug spezialisierten Arzt und einem Anwalt, der sich in Scheidungsangelegenheiten berühmter Leute bestens auskannte. Für die meisten Menschen ist die Hochzeit der schönste Tag ihres Lebens. Für mich war es der Tag meiner Scheidung gewesen. Das und noch viel mehr hat mir New York in all den Jahren geboten.
    Jahre, die sehr schnell vergangen waren, zu schnell. Jetzt war es an der Zeit, das Weite zu suchen. Wieder jemand zu werden, der sich nach dem Aufwachen im Spiegel betrachten konnte, ohne sich zu fragen, wer er war und was er verdammt noch mal hier tat. Außerdem war es mittlerweile etwas ungemütlich bei Onkel Sam geworden.
    Mein Kopf lehnte am Seitenfenster des weißen Taxis, das mich zum Hotel fuhr, und ich entdeckte Paris in aller Stille durch den feuchten Beschlag, den mein Atem auf dem Glas hinterließ. Ich hatte den Chauffeur gebeten, durch die Innen-Stadt zu fahren, damit ich diesen Anblick genießen konnte. Nicht einmal der Regen konnte mir die Wiedersehensfreude verderben. Er verlieh der Stadt einen seltsamen, feuchten Schimmer, ließ die Bürgersteige strahlen, die Straßen glänzen, die Menschen eilen. Auf den Gehsteigen tanzten die Regenschirme, und die ganze Stadt war in ein Blaugrau getaucht. Die Menschen, die Häuser, die Seine und der Himmel. Nichts hätte besser zu meiner Stimmung an jenem Tag gepasst, ich war glücklich, traurig zu sein.
    Paris hatte sich in den elf Jahren nicht sehr verändert, abgesehen vielleicht von der Bastille, die eine hässlich geformte Maske zu tragen schien, als habe man eine Platinschicht zu reichlich aufgetragen und anschließend schlecht verrieben. Alle Cafés ähnelten den lounge bars in New York: sie waren in Orange und Schwarz gehalten, holzgetäfelt, überfüllt und hatten trotzdem eine kühle Atmosphäre. Und die Oper aus Glas, so schön sie auch war, brachte das architektonische Gleichgewicht des altehrwürdigen Platzes durcheinander, als hätte man seinen Schwerpunkt verlagert. Die Oper war gerade erst fertig gestellt worden, als ich mich dazu entschlossen hatte, nach New York abzuhauen, und daher hatte ich noch keine Zeit gehabt, mich an sie zu gewöhnen.
    Als mich das Taxi schließlich vor meinem Hotel an der Place Vendôme absetzte, freute ich mich, wieder in der Stadt meiner Kindheit zu sein. Meinem Agenten Dave war als waschechtem Amerikaner nichts Besseres eingefallen, als mir ein Zimmer im Ritz zu reservieren, was mir nicht sonderlich behagte.
    Als ich Paris verlassen hatte, war ich pleite gewesen, als Fast-Millionär kehrte ich zurück. Seit meiner Scheidung hatte ich keine Bedenken mehr gehabt, meine Dollars in Amerika zum Fenster
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher