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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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hatte, dass viele, mit Alarmanlagen, Spezialschlössern und anderen fiesen Sachen bestückt, der Autoknacker-Zunft zumindest vorübergehend ein paar Probleme beschert hatten – eine Herausforderung für technisch begabte Autoklauer, die, wie ich annahm, inzwischen längst damit fertig wurden. Für mich sah die Sache anders aus. Meine Kenntnisse hatten sich auf diesem Gebiet seit 1970 nicht erweitert. Ein voll informierter Autoknacker wäre mir als Zellengenosse überaus willkommen gewesen. Stattdessen hatte ich die Zelle mit einem Heiratsschwindler und, wie schon erwähnt, einem selbstmordgefährdeten, schweißfüßigen Schwachkopf teilen müssen.
    Bevor ich im Bahnhof meine Tasche einem Schließfach anvertraute, blitzte der Gedanke, einfach mit dem nächsten Zug durchs weite, offene Land zu fahren, in mir auf. Das haben Bahnhöfe ja so an sich, dass sie Fernweh und andere, damit verbundene, Gefühle wecken. Brüsk wischte ich diese Idee beiseite. Die Vorstellung, dumpf und ohne Musik in einem Eisenbahnabteil zu sitzen, erschien mir unerträglich. Für mich kam nur ein Auto in Frage, mit Kassettenrekorder. So hatte ich’s schließlich geplant.
    Am Abend betrat ich mit neuer Hose – einer Levi’s Jeans – und alter, aber immer noch Lässigkeit suggerierender Lederjacke eine Bar in der Bahnhofstraße. Den Laden hatte es damals schon gegeben. Zwielichtig, mit beschissenem Ruf, genau das Richtige für mich. Grell-geschmacklos gekleidetes lautes Gesindel, ein paar ruhige, Souveränität ausstrahlende Herren in dunklen Anzügen, die meisten Frauen verlebt und von allen Träumen verlassen. Es gab auch junge, knackige Mädels, die auf mich jedoch nur für Sekunden erotisch wirkten. Es waren ihre Augen, die mich auf Abstand hielten. Ich kannte solche Augen, in denen Berechnung lag – scheinbar schlafende, aber in Wahrheit hellwache Raubtiere. Obwohl ich geil wie ein läufiger Kater war, bis zum Platzen gefüllt mit Sex-Phantasien, gehörten diese Frauen nicht zu den Objekten meiner Begierde.
    Meiner noch immer nicht sicher, blickte ich mich um, in der vagen Hoffnung, ein von damals oder aus dem Knast bekanntes Gesicht zu entdecken. Die Luft war schwer und heiß. Männliche Sprüche, männliches Lachen rundum, die schon fast verblühte Bardame hatte einen auffallend sinnlichen Mund. Ich stellte mich an den Tresen und bestellte einen Whisky auf Eis. Was goss mir die Lady denn ins Glas? Johnny Walker. Na gut, egal. Mit der Wirbelsäule an den Tresen gelehnt, fiel es mir schon bedeutend leichter, den Blick durch den Raum schweifen zu lassen.
    Da war ja Ignatz Moser! Unverwechselbare Physiognomie. Ein Karl-Valentin-Gesicht. Dazu passend ein magerer Körper und spindeldürre Gliedmaßen. Vor zwei Jahren war der Typ mein Zellengenosse gewesen. Ein 50-jähriger Münchner, der die Hälfte seines Lebens hinter Gittern verbracht hatte, ein Einbrecher der alten Art, nicht sehr kreativ, immer nur mit Maske, Dietrich und Brecheisen unterwegs. Einer von den Knastologen, die sich sofort vom Leben in Freiheit aufs Knastleben umstellen können, Kontakte knüpfen, Geschäfte vermitteln, immer geschmeidig, ohne Anspruch auf Macht und Stärke, den Mächtigen gegenüber auf natürlich wirkende Weise devot.
    Und nun saß er da in einer Nische, zusammen mit zwei Burschen, deren Visagen von Dummheit, Brutalität und Narben verunziert waren. Sie schienen ein paar Scheine in den Taschen zu haben, denn auf ihrem Tisch stand eine Flasche Dimple.
    »Hallo, Ignatz.«
    Instinktiv drehte sich das Karl-Valentin-Gesicht ruckartig zur Seite, jederzeit alarmbereit, dann erkennend und erfreut. »Sakrament, der Hans Lubkowitz, ja Kruzifix Halleluja! Da setz di nieder, trink mit uns! Jessas, ham’s di endlich nausg’schmissn.«
    »Ausgerechnet heute«, sagte ich supercool, »hat mir gar nicht gepasst. Weil die Tunten doch am Abend ’ne Striptease-Show abziehen wollen.«
    Herzhaftes Lachen. Selbst die beiden Dumpfbacken gönnten sich ein Schmunzeln. Knasthumor. Grinsend und mich gleich heimisch fühlend, ließ ich mich auf einem Stuhl nieder, Ignatz füllte sein Glas und schob es zu mir hin. »Da, Hansi, trink erst mal an guaden Schluck. Heit bist aussikimma? Jo, do wirst fei an scheenan Durst hom. Kruzifix Hallelujah, der Lubkowitz Hansi!«
    »Durst? Das kannst du laut sagen, Ignatz, alter Schnarcher. Du hast immer geschnarcht Mann, ich kann dir sagen.« Der Whisky brannte in meiner Speiseröhre, trieb mir Tränen in die Augen, ließ mich röcheln.
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