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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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Reporter betraf, so hatte sich ihre Lethargie längst verpisst. Sie fotografierten, was das Zeug hielt, mit aufgesperrten Augen sahen sie sich um, mitgerissen von der Musik, fasziniert von der Ausstrahlung des Sängers, angesteckt von der Begeisterung des Publikums.
    Fünf Zugaben. Das letzte Stück,
One Night
, von dem ich immer angenommen hatte, dass die berauschende, bis zum Platzen mit Sehnsucht gefüllte Version des echten Elvis niemals übertroffen werden könne, wurde, raffiniert bestückt, auf circa sechs Minuten erweitert, wich zwangsläufig und dem Konzept gemäß, wie ohnehin die meisten Songs, instrumental von der Original-Fassung ab – nicht nur, weil sich die Bandmitglieder austoben wollten, sondern hauptsächlich, um alles bedeutend fetter, den 70er Jahren entsprechend, abzuliefern –, und wurde, anders als die sehr sparsame, nur von Gitarren und Schlagzeug begleitete Elvis-Version, mit wuchtigen Piano-Untermalungen grundiert, von Micks Fender-Stratocaster zersäbelt und schließlich von Tommy Thompsons flehendem, unbeschreiblich schönen Tenor-Saxophon voller Wehmut wie ein berauschendes, positiv wirkendes Elixier im Saal zerstäubt und vom Publikum aufgesogen; die Spitzen des makellos klaren Saxophon-Sounds durchstießen die Decke des Saals elegant, um in der Hamburger Winternacht zu verwehen. Doch all das wäre nicht mehr als geil, echt dufte oder super gewesen, wenn Bülent nicht noch einmal alles – ob kühl kalkuliert oder nicht, scheiß der Hund drauf – gegeben hätte. »Just call my name – and I’ll be right by your side …!« Es klang souverän, angerauht, sicher und vor allem unfassbar schön. Obwohl ich, hinter der Bühne stehend, viel näher dran war, hätte ich mich lieber da unten befunden, inmitten des Menschengebrodels, um das Rock’n’Roll-Mysterium hautnah spüren zu können, um eins zu werden mit der Gemeinde der Rock’n’Roll-Gläubigen, um mich endlich einmal ganz und gar auflösen und mit all den anderen verschmelzen zu dürfen.
    Unbeschreiblicher Schluss-Applaus. Der Saal leerte sich langsam, als widerstrebe es den Leuten, diesen auf einmal gesegneten Raum zu verlassen. In zahllosen Augen glänzte Verzückung. »Gibt’s schon Platten von Elvis Vegas?« Die Frage wurde hundertmal gestellt. Eddy konnte die Fans nur vertrösten. »Demnächst«, sagte er immer wieder. »Wir arbeiten dran. Jedenfalls wird der neue King in den nächsten Wochen häufig in Hamburg und Umgebung auftreten.«
    Tony Sheridan, wie immer cool und sehr sympathisch, steuerte stracks auf Bülent zu, reichte ihm die Hand und sagte, anerkennend grinsend: »Alter, du bist ein Tier. Hat mir verdammt gut gefallen. Wir werden uns bestimmt irgendwann wiedersehen.«
    Fast zwei Stunden hatte das Konzert gedauert. Nun waren wir unter uns. Genauer gesagt: Bülent, die Band, der Chef und die Angestellten des Clubs, die Roadies, Eddy, Doris, ich und Bülents Familie. Die Musiker wirkten erschöpft, aber glücklich. Bülents Familie wirkte ebenfalls erschöpft und glücklich. Vor allem der Vater schien total ausgepowert zu sein. »Türkei hat gewonnen«, raunte er mindestens zehnmal mit verschmitztem Lächeln. Seine Frau, an sich ganz und gar nicht der schweigsame Typ, schaute ihren vorhin so begeistert umjubelten Sohn still vor sich hin lächelnd an wie einen Heiligen. Vielleicht überlegte sie in diesem Moment, dass sie nicht sehr viel über ihn wusste, dass sie es gewesen war, die ihn gedrängt hatte, im Obst- und Gemüseladen zu arbeiten, quasi darin zu verschwinden, ein Unsichtbarer zu werden wie so viele in Hamburg lebende Türken. Nein, das hatte sie heute begriffen, ihr Sohn würde berühmt werden, Plakate mit seinem Konterfei an jeder Hauswand. Er würde ins Fernsehen kommen. Der Stolz aller in Deutschland lebenden Türken. Vielleicht sogar irgendwann der Stolz aller Türken auf der ganzen Welt.

E PILOG
    »Wie’s dann weiterging?« Grinsend und mit mir zufrieden reibe ich meinen Rücken am Holz des Tresens in der Eimsbütteler Kneipe und genieße die erstaunten Mienen meiner Zuhörer. »Von Manuel und den anderen Gangstern wurden wir tatsächlich nicht behelligt. Wir machten richtig Kohle. Zwei Jahre lang war ich dabei. Die ganze Zeit, bis Bülent wirklich ganz oben ankam, ständig im Fernsehen war, Tourneen durch Deutschland, Holland, Skandinavien und sogar England machte. Elvis Vegas. Den Namen hab übrigens ich kreiert. Dann zog ich mich zurück. Weil Doris doch wieder was mit Eddy angefangen hatte.
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