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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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Hunde fickten, die ersten Punker kotzten – idealer Auftakt für ’ne Punk-Band.
    »Scheißhaus, Scheißhaus!«, brüllten schließlich die Fans. Und die Band betrat die Bühne, die eindeutig von denselben Leuten zusammengezimmert worden war, die auch die Theke errichtet hatten. Vier dürre, bleiche Knaben in zerrissenen schwarzen Jeans, zerrissenen schwarzen Lederwesten über zerrissenen schwarzen T-Shirts und selbstverständlich mit allerlei Metall in Form von Sicherheitsnadeln, Stachel-Armbändern und Ketten versehen, schlotternd vor Kälte, versuchten auf rührende Weise, abgefuckt und verkommen zu wirken. Der Frontmann spuckte ein paar Worte ins Mikrofon, und ab ging die Luzie. Man merkte sofort, dass die Band mit enormer Hingabe spielte, laut und schnell, wenn auch falsch und einfallslos, verpassste Einsätze waren die Regel, der dumpfe Rhythmus lud zum Mitgrölen ein. Deutsche Texte, schwer verständlich wegen der miesen Anlage und weil sich der Sänger ohnehin undeutlich artikulierte. Das Wort Scheiße kam jedenfalls häufig vor. Zum Glück hassten die Punks jede Art von Virtuosität, ein Gitarrensolo galt in ihren Kreisen als Ausdruck staubiger Spießigkeit, und so ging dieser Kelch an uns vorüber. Die Mehrzahl der Gäste war von Anfang an besoffen. Nun wurde Pogo getanzt, oder besser gekämpft. Man sprang den Rhythmus ignorierend umher, rempelte und pöbelte sich an, einige fielen hin, Bier wurde reichlich verschüttet.
    Wir sahen uns an, Eddy, Bülent, Doris und ich, auf unseren Gesichtern lag Entsetzen. Nichts gegen Krawall mit Nervenkitzel, nichts gegen die Suche nach Neuem, aber das hier war nur dumpf und doof. Wer hier mit einem Buch in der Hand auftauchte, wurde wahrscheinlich verprügelt. Achselzuckend verließen wir dieses barbarische Gemetzel, ließen uns auf dem Weg zum Ausgang ein paarmal anrempeln, anschnorren und beleidigen, ohne zu reagieren – selbst Bülent blieb passiv, war wie erschlagen, vom Kulturschock quasi paralysiert – und atmeten auf, als die Heizung des Wagens ihr wohltuendes Werk verrichtete.
    Bülent war erschüttert. »Dass die sich auf eine Bühne trauen, ist einfach nur lachhaft. Aber dass keiner der Gäste merkt, dass die Penner gar nicht spielen können, dass die ihre Instrumente wie Feinde behandeln, das, äh, das finde ich so was von bizarr. Ich kam mir vor wie in einem Alptraum.«
    Eddy grinste. »Das ist jedenfalls nicht die Band, die ich suche. Vielleicht sollte ich den Plan vergessen. Mir ist die Weltanschauung dieser Leute ja überhaupt nicht zugänglich. Dieses wirre, pseudo-gesellschaftskritische Gebrabbel würde ich keine zwei Stunden ertragen.«
    »Bald ist es so weit!«, schrie Bülent frohlockend, »Bald wird die Welt meine Stimme hören!« Zappelnd saß er neben mir im Fond, mit funkelnden Augen. Ein Beatles-Stück –
She’s A Women
– dröhnte aus sauguten Boxen, wurde jedoch von Bülent übertönt, der irgendwie durchgeknallt wirkte und schrie: »Ich bin der King, ey! Hab alles perfekt geplant, Leute, den Aufstieg in die Weltklasse! Zuerst mach ich den Elvis, klar, logo! Der beste Elvis, den es je gab! Aber dann werd ich mir diese viel zu enge Haut abstreifen wie eine Schlange!« Jetzt überlegte er kurz und intensiv. »Ah, nein, nicht die Schlange! Der Schmetterling! Aus der Raupe wird ein bunter, davonschwebender Falter! Dann werd ich eigene Stücke schreiben! Hört ihr überhaupt zu?! Ich werde die Rock-Musik revolutionieren, so wie es damals die Beatles machten! Nach den Beatles hat’s keine weitere Revolution in der Rock’n’Roll-Geschichte gegeben! Versteht ihr?! Ein paar Verfeinerungen, satter Sound dank besserer Aufnahmetechnik, verspielte Varianten – aber nichts wirklich Neues! Und nun komme ich!!!«
    »Mensch, Bülent!« Ich rüttelte genervt an seinem Arm. »Dein Geschrei geht mir echt auf den Sack!« Die Anspannung, dachte ich, wir sind alle total angespannt, und der, auf den’s ankommt, verständlicherweise am stärksten.
    Scheißwetter. Temperatur nicht mehr als fünf Grad. Nieselregen. Und hier in Sasel, am Stadtrand, sah alles noch trüber aus. Zuerst überkam mich das Weltuntergangs-Feeling in seiner ertragbaren Form, nämlich scheißmelancholisch, die Gedanken verbrämt mit bedeutungsschwangerem Geraune à la Stefan George. Kurz darauf wechselte meine Stimmung. Leider nicht in die heitere Abteilung, sondern – und zudem in Schwarz-Weiß – hinüber in die Eiseskälte der Filme aus der Wochenschau über Naturkatastrophen,
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