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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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Entsetzen der Eltern, für eine Stunde, und die 35 000 Dollar waren ja neulich gerade zur rechten Zeit gekommen, von Bülent, dem Tausendsassa, der, wie es schien, demnächst aufsteigen, fliegen würde, dem Adler gleich, hoch über ihnen kreisend, der Glückliche, der es besser machen würde als all die anderen. Gute Sänger konnten viel Geld verdienen. Das war ja bekannt. Sie traten im Fernsehen auf, wurden in Zeitungen abgebildet und interviewt. Aber ausgerechnet Rock’n’Roll? Demnächst der erste Auftritt. In Sasel. Die Eltern hatten keine Ahnung, dass Sasel ein Stadtteil von Hamburg ist. Den Geschwistern sagte der Name was. »Ihr kommt alle auf die Gästeliste«, sagte Bülent stolz. Wir tranken Tee und aßen klebriges, süßes Zeug, das prima schmeckte. Zuerst wurde pausenlos gequasselt, hauptsächlich auf Türkisch – und nur ein Bruchteil wurde für mich übersetzt, weil ich im Moment nicht so wichtig war. Konnte ich auch verstehen. Dann lief die Kassette mit Aufnahmen von Bülent mit der Band – auch die flapsigen Unterhaltungen zwischen den Songs waren drauf und bezeugten das gute Verhältnis zwischen Bülent und den Deutschen. Gebannt hörten die Gürsels zu, vor Stolz und Bewunderung schier zerfließend. Dass er über eine schöne Stimme verfügte, war ihnen ja bekannt, aber was er damit alles machen konnte, hatten sie nie für möglich gehalten. »Mann, du bist spitze!«, schrie die Schwester begeistert auf. Den Brüdern gefiel, dass Bülent völlig frei von Hemmungen mit den Deutschen sprach, musizierte und herumulkte. Man konnte gar nicht erkennen, dass einer der Musiker türkischer Abstammung war – wenn man die drei, vier gutmütigen Sticheleien überhörte, zum Beispiel Micks Witzchen, die E-Gitarre sei in Ostanatolien unbekannt, da es dort ja keine Elektrizität gäbe. Und einmal behauptete Knackwurst, türkischer Rock’n’Roll sei wegen der Ü- und Ö-Lastigkeit undenkbar. Alles scherzhaft, wie gesagt, und von Respekt bestimmt. Insgeheim dankte ich Eddy, dass er diese Gespräche draufgelassen und auch Bülents Bericht von einer typisch deutschen Weihnachtsfeier in Bad Harzburg nicht gelöscht hatte, weil der nicht nur im Studio, sondern ebenso bei den Gürsel-Kindern zu Lachanfällen führte. Die Eltern verstanden nur einzelne Wörter, mussten die Übersetzung abwarten und lachten zwangsläufig mit Verzögerung, aber offenbar wild entschlossen, den Lach-Wettbewerb zu gewinnen. Nach und nach schwand das Misstrauen mir gegenüber; auf einmal lag Sympathie in ihren Blicken, und dafür war ich dankbar.
    Zum Abschied gab’s wieder Tränen. Literweise. »Türkische Mütter«, murmelte Bülent mir, den Genervten spielend, zu. Der Vater räusperte sich gerührt, in den Augen der Geschwister glitzerte Sehnsucht nach der Welt da draußen.
    Nur noch ein paar Tage bis zum Auftritt. Eddy fragte uns, ob wir Bock auf ein Konzert hätten. In einer Lagerhalle in Ottensen, wahrscheinlich unbeheizt, vermutlich mit verdreckten Toiletten. Er müsse aus geschäftlichen Gründen dorthin. Eine Punk-Band namens Scheißhaus. Punk sei nun mal angesagt, und es könne sich lohnen, eine halbwegs mit ihren Instrumenten vertraute Punk-Gruppe aufzubauen. Wir sagten zu.
    Eine hundertjährige Lagerhalle aus Backstein, völlig ohne Dekoration und natürlich auch ohne Mobiliar. Die selbstgezimmerte Theke sah aus, als würde sie demnächst zusammenbrechen. Da es keinen Kühlschrank gab, wirkte sich die Kälte zumindest auf die Temperatur des Biers positiv aus. Etwa hundert Gäste, vor allem Punks, was mich nicht verwunderte, aber auch einige düster blickende Anarchos, gut gelaunte Spontis, blasierte Edel-Punks aus Eppendorf und eine Gruppe besoffener Penner, die ihr ganzes Habe in Einkaufswagen von A LDI vor sich herschoben und nachher garantiert ihre Schlafsäcke ausbreiten würden. Nicht nur der Kälte wegen fand ich hier alles zum Kotzen – die unreflektierte Anti-Haltung, die kindische Trotz-Attitüde, grobschlächtiges Gehabe schien Pflicht zu sein. Zum Anheizen wurden, keineswegs überraschend, zerkratzte Platten von den Sex Pistols, Damned und The Clash gespielt, über eine lausige Anlage, und als Eddy einen Verantwortlichen fragte, ob man den Sound nicht besser aussteuern könne, erhielt er die hingerotzte Antwort, der Sound sei perfekt beschissen, ein geiler Schweine-Sound, frei von jeglicher gottverdammten Arschkriecher-Schönheit. Die ersten Bierflaschen zerschellten auf dem Boden, ein Penner pisste in eine Ecke,
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