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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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Tages würde ich mir eine neue Hose kaufen. Ich trug eine sogenannte Schlaghose. Wahrscheinlich war ich der Einzige in dieser und allen anderen Städten diesseits des Eisernen Vorhangs, der noch in Hosen herumlief, die so weit ausgestellt waren, dass sie beim Gehen flatterten.
    In der Apotheke stieß ich auf eine Mauer der Ablehnung. ›Rosimon neu‹ sei seit 1972 rezeptpflichtig. Scheiße, verdammte! Ich hatte mich jahrelang darauf gefreut, meinen Entlassungstag mit einem satt blubbernden V8-Motor im Kopf so richtig zelebrieren zu können. Das halbe Hähnchen war in Ordnung. Das Bier sowieso. Bier, Mann, seit sieben Jahren das erste Bier. Ich trank es direkt aus der Flasche, mit Ehrfurcht, die Flüssigkeit strömte kühl und ein wenig bitter schmeckend die Speiseröhre hinunter. Herrlich! Einmaliges Glücksgefühl, allerdings teuer erworben, nicht wahr? Sieben Jahre sitzt man nicht eben mal auf einer Arschbacke ab. Mit der zweiten Flasche verabschiedete sich der erhebende Moment, auf den ich sieben Jahre lang gewartet, den ich mir bis ins Detail ausgemalt hatte, wehte hinweg, war vorbei, machte der Gewohnheit oder dem Einstieg in die Gewohnheit Platz – schon fing es an, normal zu sein, alles in mir knüpfte wie selbstverständlich an meine Biertrinkgewohnheiten bis zu meiner Verhaftung 1970 an. Ich hielt schon wieder die Flasche wie damals, mit nur drei Fingern, weil ich das schon damals für cool gehalten hatte, die Unterlippe schob sich so selbstverständlich wie damals vor, ich rülpste dezent wie damals und saugte, auch wie damals, nach jedem coolen Schluck ganz cool an meiner Kippe, ließ natürlich den Rauch durch Mund und Nase aus mir entweichen, alles lässig und, klar, auch jetzt, in diesem Augenblick, noch traumhaft wohltuend, obwohl, wie schon erwähnt, der richtig geile Moment bereits vorbei war.
    Die Cafeteria sah noch genauso beschissen aus wie damals, was mich ein wenig beruhigte, hatte ich doch vorhin während meines Spaziergangs durch Gießen eine ganze Menge baulicher Veränderungen registrieren müssen, die mir bittere Überlegungen bezüglich der psychischen Verfassung jener dafür verantwortlichen Bauherren und Architekten bescherten. Von hier oben, auf diesem halben Stockwerk, konnte man immer noch – Bierflasche auf der Resopal-Tischplatte, Zigarettenschachtel und Streichhölzer daneben, Kippe im Mund, mit einer gewissen Überheblichkeit, wenn man an einem Tisch am Geländer saß – herunterschauen auf die herumwuselnden und sich durch die Sonderangebote kämpfenden Kunden eines Billigwarenhauses. Und man konnte sich, ob mit oder ohne Droge, abgesehen von den zwei, drei Bieren, die man zum Anheizen weggeschluckt hatte, wohlig in dem Glauben wiegen, die Mechanismen des kapitalistischen Systems und überhaupt alles – das wesentliche Element der Evolution, die Macht des Geschlechts- sowie des Hamstertriebs, den Unterschied zwischen Stadt- und Landbevölkerung, die Ursache des vulgären Geschmacks der Mehrzahl der Stadt- sowie der Landbewohner – nicht nur längst begriffen, sondern, wenn auch noch nicht aktenkundig, exakt definiert zu haben.
    August 1977, Wetter teils-teils, also zwar sommerlich warm, aber feucht, um nicht zu sagen nass, weil vorhin das letzte Stück Himmel mit Finsterwolken zugepflastert worden war. Kurz darauf goss es dann wie aus Eimern, Unmengen an Wasser, fast monsunartig. Der Regen trieb weitere Besucher ins Kaufhaus, die sich, obwohl durchnässt und jäh aus der Bahn ihrer eigentlichen Vorhaben gefegt, von einem Moment auf den anderen in raffgierige potentielle Kunden verwandelten, Pfützen an jedem Grabbeltisch hinterlassend, mit Verkäuferinnen redend, denen die Indolenz aus den Augen gellte, während die beiden von mir sofort als solche identifizierten Kaufhausdetektive erhöhte Wachsamkeit zeigten, einerseits ihre Schultern breiter werden ließen, andererseits möglichst identitätslos mit der Masse zu verschmelzen suchten.
    Ich trank einen Kaffee, der verdammt gut war, also richtig nach Kaffee schmeckte, schaufelte ein Stück Schwarzwälder Torte in mich rein und ging noch mal Teil zwei meines Plans durch. Zeit hatte ich ja eigentlich massenhaft. Selbst wenn ich einen Terminkalender besessen hätte, wären die Seiten darin ohne Eintragungen gewesen. Doch in mir rumorte es. Das musste ich noch oder wieder lernen: Schritt für Schritt, nicht alles auf einmal – die Umstellung vom Käfig in die Freiheit bringt nicht nur Glücksgefühle, sondern auch ’ne Menge
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