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Das ist nicht wahr, oder?

Das ist nicht wahr, oder?

Titel: Das ist nicht wahr, oder?
Autoren: Jenny Lawson
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»Aber du hast dich doch gefreut, als du geglaubt hast, wir würden dich holen, ja?«, werden wir ihn dann an Silvester fröhlich fragen. »Aber im Ernst, morgen holen wir dich wirklich. Morgen bekommst du zur Abwechslung also mal keine Einläufe und Herzmedikamente! Wir gehen in den Zirkus! Das wird toll! Verlass dich drauf!«
Aber das sollte er eben nicht.
    Genau diese Gedanken gingen mir durch den Kopf, als mein Vater uns mit dem »magischen Eichhörnchen« weckte. Er schien zu spüren, dass ich eine Rache in Richtung Altersheim/Zirkus plante, runzelte die Stirn und versuchte unser Vertrauen wieder zu gewinnen. »Im Ernst, das stimmt wirklich«, sagte er. »Passt auf, ich werde es euch beweisen.« Er sah in die Schachtel. »He, kleines Eichhörnchen, wie heißt meine ältere Tochter?« Das Eichhörnchen sah meinen Vater an und dann uns … ich will verdammt sein, wenn es sich nicht streckte und meinem Vater etwas ins Ohr flüsterte.
    »Es sagte ›Jenny‹«, stellte mein Vater fest. Er klang ziemlich zufrieden.
    Wir waren beide beeindruckt, wandten aber sofort ein, dass wir nicht gehört hätten, wie das Eichhörnchen meinen Namen sagte, und dass es wahrscheinlich nur in den Ohrhaaren meines Vaters nach etwas zu fressen gesucht hätte. Mein Vater seufzte sichtlich enttäuscht von seinen misstrauischen Kindern oder der Bemerkung über die Haare in seinen Ohren. »Alsogut«, sagte er schroff, zog beleidigt die Nase hoch und sah wieder in die Schachtel. »Kleines Eichhörnchen … was ist zwei plus drei?«
    Und dieses erstaunliche, magische, höchst außergewöhnliche Tier hob seine kleine Eichhörnchenpfote.
Und zwar fünf Mal.
    Ich erkannte sofort, dass das Eichhörnchen meine Fahrkarte aus diesem Nest in West-Texas war. Ich würde es gewinnbringend für Geld, Spielsachen und Auftritte in der TONIGHT SHOW einsetzen. Ich würde es Stanley nennen und eine kubanische Schneiderin namens Juanita beauftragen, kleine Anzüge für ihn zu nähen. Als ich gerade überlegte, ob Stanley eine Baskenmütze oder ein Filzhut besser stand, lächelte mein Vater breit und riss die Schachtel auf, in der das Eichhörnchen steckte.
    Stanley sah … seltsam aus. Verwirrt stellte ich fest, dass er extrem dick war, mit einem gewaltigen Bierbauch. »Da hat Juanita was zu tun«, dachte ich noch. Dann merkte ich, dass Stanleys Hinterpfoten arg lustlos hin und her baumelten und dass die Hand meines Vaters IM KÖRPER DES EICHHÖRNCHENS STECKTE.
    »Scheiße Mann, du Psychopath!«, hätte ich gesagt, wenn ich nicht erst acht gewesen wäre. Am Ärmel meines Vaters klebte frisches Blut und ich versuchte angestrengt zu verstehen, was hier vorging. Einen kurzen Moment lang glaubte ich, Stanley, das magische Eichhörnchen hätte bis zu der schrecklich missglückten Darmuntersuchung, die mein Vater offenbar an ihm vorgenommen hatte, noch gelebt. Dann erst begriff ich, dass es sich wahrscheinlich um ein Eichhörnchen handelte, das mein Vater tot auf der Straße gefunden hatte und das er aufgeschlitzt hatte, um daraus eine groteske Handpuppe zu machen, eine Höllengeburt.
    Lisa kicherte und steckte die Hand in den Hintern des toten Eichhörnchens. Offenbar hatte ihr schwacher Verstand dem Schock nicht standgehalten und sie hatte im zarten Alter von sechs den Verstand verloren. Während sie sich den frischen Kadaver bis zum Ellbogen hochzog, nahm ich mir in Gedanken vor, die Rückseiten der Milchkartons zu überprüfen. Bestimmt machten sich meine wirklichen Eltern, die mich wahrscheinlich im Kino verlegt hatten, inzwischen schreckliche Sorgen um mich. Wahrscheinlich waren sie gerade auf einem Treffen der PETA und spendeten im Namen ihrer schon so lange vermissten Tochter eine große Summe. »Das hätte Jenny bestimmt gefreut«, hörte ich meine wirkliche Mutter tröstend zu meinem Vater sagen (dem Grafen), mit dem sie beharrlich daran arbeitete, ihre erfolgreiche Aktion zur Rettung der Präriehunde auch auf benachbarte Landkreise auszuweiten.
    Viele Jahre später hatte meine Schwester eine Tochter namens Gabi. Mein Vater (der mein Bedürfnis, die Eichhörnchengeschichte für den Rest meines Lebens immer wieder an Weihnachten aufs Tapet zu bringen, offenbar als Huldigung an glücklichere Zeiten verstand statt als Folge einer posttraumatischen Belastungsstörung) beschloss, seine vierjährige Enkelin mit der Endlostherapie zu beglücken, die durch einen sprechenden magischen Schachtel-Kadaver notwendig wird. Er hatte einen Waschbären gegerbt, den steifen
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