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Das ist nicht wahr, oder?

Das ist nicht wahr, oder?

Titel: Das ist nicht wahr, oder?
Autoren: Jenny Lawson
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dann ist mein Vater
total
normal. Ich erinnere mich allerdings nicht, dass die Kinder in
Charles in Charge
auch Eis aus der Tiefkühltruhe holen wollten und stattdessen eine riesige tiefgefrorene Klapperschlange herausgezogen haben, die Charles dort noch lebend deponiert hat. Vielleicht habe ich die Folge verpasst. Wir haben nicht viel ferngesehen.
    Wenn die anderen mir erzählen, wie
ihr
»verrückter« Vater manchmal auf der Toilette einschläft oder gelegentlich einen Schwelbrand verursacht, lege ich den Finger an die Lippen und flüstere: »Pst, Schätzchen, ich sage dir jetzt, was wirklich durchgeknallt ist.«
    Und dann erzähle ich die folgende Geschichte.
    Es war kurz vor Mitternacht, als ich meinen Vater draußenrumoren hörte. Und dann brannte bei uns im Zimmer plötzlich Licht. Meine Mom wollte ihn wieder ins Bett schicken, aber erfolglos. »Lass die Mädchen doch schlafen«, murmelte sie aus dem Elternschlafzimmer auf der anderen Seite des Flurs. Zwar wusste sie inzwischen, dass nichts meinen Vater aufhalten konnte, wenn ein »Geistesblitz« ihn getroffen hatte, aber sie tat trotzdem so, als versuche sie es (vor allem, um meiner Schwester und mir den Unterschied zwischen normal und verrückt klarzumachen, damit wir ihn, wenn wir älter waren, kannten).
    Ich war acht und meine Schwester Lisa sechs. Mein Vater, ein Hüne, der aussah wie ein gefährlicher Zach Galifianakis, kam polternd in unser winziges Schlafzimmer. Lisa und ich haben die meiste Zeit unseres Lebens ein Zimmer geteilt. Es war so klein, dass neben unserem gemeinsamen Bett und der Kleiderkommode kaum noch Platz war. Die Türen des Einbauschranks waren längst ausgehängt, um das Zimmer größer wirken zu lassen, allerdings ohne Erfolg. Ich verbrachte Stunden damit, mir Nischen zu schaffen, in denen ich ungestört war. Aus Decken baute ich Höhlen oder ich bat meine Mom, mich in die Garage zu den Hühnern ziehen zu lassen. Ich schloss mich im Bad ein (dem einzigen Zimmer mit einem Schloss), aber bei einem Bad für vier Personen und einem Vater mit Reizdarm taugte das nicht als Langzeitlösung. Manchmal leerte ich auch meine Spielzeugkiste aus, rollte mich darin zusammen und machte den Deckel zu. Krämpfe in den Beinen und die Ruhe und Dunkelheit der Kiste waren mir lieber als die Außenwelt … die totale Abschottung von allen äußeren Reizen wie in einem Floating-Becken für Vollwaisen. Meine Mom machte sich Sorgen, aber nicht genug, um tatsächlich etwas dagegen zu unternehmen. Arm aufzuwachsen hat wenige Vorteile. Kein Geld für eine Therapie zu haben ist der größte.
    Mein Vater hockte sich auf die Bettkante, und Lisa und ich versuchten unsere Augen langsam an das helle Licht zu gewöhnen. »Aufwachen, Mädels«, rief mein Vater. Sein Gesicht war vor Aufregung, Kälte oder Hysterie gerötet. Er trug seine üblichen Jagdkleider in Tarnfarbe und im Zimmer begann es nach Rehurin zu stinken. Jäger verwenden oft Tierpipi, um ihren eigenen Geruch zu überdecken, und mein Vater klatschte es sich ins Gesicht wie andere Männer ein Aftershave. Sodomie und Fellatio waren in Texas geächtet, aber dass Männer sich im Namen der Jagd mit animalischem Natursekt tränkten, war völlig in Ordnung.
    Mein Dad hielt eine Schachtel mit Ritz-Crackern in der Hand, was höchst merkwürdig war, weil es bei uns sonst nie Markenlebensmittel gab. Ich also sofort: »Wow, yeah, dafür wache ich ja total gerne auf«, aber dann merkte ich, dass sich in der Schachtel etwas bewegte, und war beunruhigt, allerdings nicht, weil mein Vater mit einem lebenden Tier in einer Schachtel in unser Zimmer gekommen war, sondern weil das, was sich da bewegte, die wunderbaren Cracker kaputtmachte.
    Ich muss noch vorausschicken, dass mein Dad jede Menge verrücktes Zeug mit nach Hause brachte. Kaninchenschädel, wie Gemüse geformte Steine, wütende Opossums, Glasaugen, Landstreicher, die er auf der Straße aufgelesen hatte, oder ein lebendes Stachelschwein in einem Autoreifen. Meine Mutter (eine geduldige Frau, die als Küchenhilfe in der Schulkantine arbeitete) war wohl insgeheim überzeugt, dass sie in einem früheren Leben etwas Schreckliches getan und dieses Schicksal verdient hatte, sie zwang sich deshalb zu einem Lächeln und deckte mit der stillen, sonst für Heilige und Katatoniker reservierten Würde für den Landstreicher/Junkie am Esstisch einen weiteren Platz.
    Dad beugte sich über uns und teilte uns mit verschwörerischer Miene mit, in der Schachtel wäre unser neuestes
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