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Das ist nicht wahr, oder?

Das ist nicht wahr, oder?

Titel: Das ist nicht wahr, oder?
Autoren: Jenny Lawson
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aber dass mein Ur-Ur-Großonkel auf dem Totenbett angeblich den Mord an seiner Frau gestanden hat (und auch, dass er einige Jahre davor seinen Vater angezündet hatte), galt in meiner Familie als Tatsache. Mein Großvater sagte, damals nach der Beichte hätten einige Familienmitglieder seine Großtante ausgegraben und der Nagel hätte immer noch in ihrem Schädel gesteckt. Sie hätten sie dann wieder begraben, ohne die Polizei zu informieren, denn damals gab es CSI: MIAMI noch nicht. Ich meinte, die Leiche eines Familienmitglieds auszugraben, nur um nach Löchern im Schädel zu suchen, wäre fast genauso abwegig, wie jemandem mit einem Nagel zu ermorden, aber Großvater schüttelte nur den Kopf und brummte verärgert etwas von »der heutigen Jugend, die von Familienpflichten nichts versteht«. Ich frage mich manchmal, ob meine Großmutter nur deshalb so übermenschlich gutmütig war, weil sie keinen Nagel in den Kopf bekommen wollte. Aber ich bezweifle es. Mein Großvater konnte nie gut mit dem Hammer umgehen.
    Tief im Innern war er ein guter Mensch. Man spürte, dass er sich in Gesellschaft von Kindern unwohl fühlte, aber wir nahmen ihm das nicht übel, es beruhte auf Gegenseitigkeit. Mit über sechzig hatte er eine Reihe von Schlaganfällen und danach zwinkerte er ständig mit einem Auge. Weil er glaubte, die Frauen in der Kirche könnten das als Anmache missverstehen, begann er dunkel getönte Roy-Orbison-Sonnenbrillen zu tragen. Mit der Sonnenbrille, dem unbewegten Gesicht, dem dicken tschechischen Akzent und seiner Vorliebe für Unterhemden und dunkle Anzüge wirkte er wie das Oberhaupt einesMafia-Clans. Die Nachbarn begegneten ihm mit einem stillen Respekt, vielleicht aus Furcht, er könnte einen Killer auf sie ansetzen. Ich habe mehr als einmal gehört, wie sie ihn »Terminator« nannten.
    Großvater hat alles in seinem eigenen Tempo gemacht, dem Tempo der »angreifenden Schnecke«, wie meine Schwester und ich es nannten. Am deutlichsten war das zu spüren, wenn er Auto fuhr. Er war schon fast amtlich blind und die Sonnenbrille half da auch nicht, schon gar nicht denen, die außer ihm noch auf der Straße unterwegs waren. Er milderte die Folgen seines Handicaps, indem er ständig fünfzig km/h langsamer fuhr als die Geschwindigkeitsbeschränkung. Das Haus meiner Großeltern war nur etwa fünfzehn Kilometer von unserem entfernt, aber für die Fahrt dorthin mussten wir belegte Brote einpacken und mehrere Bücher zur Unterhaltung. Einmal auf einer besonders langsamen Fahrt musste meine Schwester aufs Klo. Ich wollte sie zum Durchhalten überreden, aber das ging nicht, also nahm Großvater die Ausfahrt zu einer Tankstelle. Dabei machte er einen plötzlichen Schlenker. Danach behauptete er, ihm wäre ein Puma vors Auto gelaufen, aber wir hatten den Puma, von dem er sprach, alle gesehen – ein doppeltbreites Wohnmobil, das seit mindestens zwanzig Jahren am Straßenrand parkte. Lisa und ich beruhigten uns damit, dass selbst wenn Großvater in etwas hineinfuhr, der Zusammenstoß bei dieser Geschwindigkeit wahrscheinlich nur ganz sanft sein würde. Wir überlegten oft, ob wir aus dem Auto springen und die letzten Blocks zum Haus unserer Großeltern zu Fuß gehen sollten. Bestimmt waren wir so rechtzeitig dort, dass wir noch Großvaters Ersatzhörgeräte anprobieren konnten, bevor er in die Einfahrt einbog und überhaupt merkte, dass wir nicht mehr hinter ihm saßen.
    Wir lebten im Haus unserer Großeltern wie in Caligulas Palast, denn mein Großvater war die ganze Zeit damit beschäftigt,sich über Katzen aufzuregen (die er im Garten hinter dem Haus fing und dann uns mit nach Hause gab), und meine Großmutter hatte nicht das Herz, uns etwas zu verbieten. Scharfe Messer, Schokolade, kleine Feuer, Kabelfernsehen am späten Abend … hier war alles erlaubt. Das Mittagessen bestand aus Spiegeleiern, die in Sirup schwammen, Kartoffelbrei gemischt mit Schlagsahne und selbstgemachten Pommes, von denen das Schweineschmalz tropfte. Zum Abendessen machte Grandlibby einige Schüsseln mit nicht ganz durchgebackenen Brownies, einem bräunlichen Matschteig-Salmonellen-Gemisch, das erst richtig gut schmeckte, wenn man es mit den Fingern aß und die Pampe zu großen schokofarbenen Speedballs rollte.
    Nach jedem Bissen wiederholte Grandlibby gebetsmühlenartig: »Aber sagt euren Eltern nichts.« Ich bekundete mit einem Murmeln meine Zustimmung, mehr war nicht drin, so high war ich vom Sirup. Meine Schwester brachte ein Nicken
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