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- Das Haus der kalten Herzen

- Das Haus der kalten Herzen

Titel: - Das Haus der kalten Herzen
Autoren: Sarah Singleton
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Buntglas brachte die überwucherten Stücke von rotem und königsblauem Glas zum Glühen. Eine Kerze. In der Kirche war jemand.
    Mercy ging auf das Portal zu. Sie konnte Galatea und Charity nicht sehen, die nun von den Eiben verdeckt wurden. Der Geruch der alten Steine stieg ihr in die Nase. Die Steinfliesen unter ihren Füßen waren kalt, das spürte sie noch durch Stiefel und Strümpfe hindurch. Sie streckte die Hand nach der schweren Tür aus. Wer mochte hier sein?
    Geräuschlos öffnete sich die Tür, der eiserne Riegel klickte jedoch, als sie ihn losließ. Da sie gerade aus dem Mondlicht gekommen war, mussten sich ihre Augen erst an die Dunkelheit gewöhnen. Mercy trat in den Mittelgang, dann wartete sie. Mit einer Hand hielt sie sich an der Kirchenbank fest. Unter einem Fenster an der Ostseite brannte eine einzelne Kerze. Ein kleiner, warmer Lichtkreis flackerte an der Wand, und am Ende der Kirchenbank saß ein Mann, der den Kopf gesenkt hielt.
    Mercy wusste nicht, was sie tun sollte. Also wartete sie einfach ab und schaute. Die Kerze flackerte in der Zugluft. Sie konnte das Bild auf dem Fenster nicht erkennen, der Kerzenschein erhellte nur kleine Stücke von Silber und Grau. Dann drehte der Mann sich um.
    »Mercy«, sagte er. Schatten fielen auf sein Gesicht, sodass sie seine Züge nicht genau ausmachen konnte. Die Stimme war die eines jungen Mannes. Sie zitterte.
    »Mercy«, sagte er noch einmal. Langsam ging sie nach vorn, dabei ließ sie ihre Hand von einer Bank zur nächsten wandern.
    »Ich habe auf dich gewartet«, sagte er. Ein weißes Gesicht mit dunklem Haar, das ihm in die Stirn fiel. Er sah sehr seltsam und gut aus, wie ein Prinz aus ihren uralten Märchenbüchern.
    »Bist du …?«, sagte sie. »Bist du …«
    »Ein Geist? Nein.«
    »Wer bist du dann?« Ihre Stimme zitterte. Sie hatte vergessen, wie man mit Fremden sprach. Sie richtete sich etwas auf und nahm sich zusammen.
    »Du hast die Frau im Eis gesehen, nicht wahr?«, sagte er.
    »Woher weißt du von ihr?«
    Beide hatten sie Fragen gestellt und nun warteten sie beide auf eine Antwort. Der Augenblick zog sich in die Länge.
    »Wer bist du?«, wiederholte sie. Der junge Mann schaute zu Boden und lächelte. Er strich sich das Haar aus dem Gesicht.
    »Claudius«, sagte er.
    »Gehörst du zur … Familie?«, sagte sie.
    »Ich bin auch aus der alten Heimat«, sagte er. »Ich bin ein Verga. Und jetzt beantwortest du meine Frage. Ich glaube, du hast die Frau im Eis gesehen. Den Geist.«
    »Ja«, sagte Mercy. »Warum bist du nicht ins Haus gekommen?«
    »Ich habe dir eine Nachricht geschickt, Mercy. Hast du sie gefunden? Das Schneeglöckchen auf deinem Kissen. Ich habe dich zu ihr geschickt. Es wird Zeit, weißt du.«
    »Du warst das? Du warst in meinem Zimmer?« Mercys Herz raste. »Und wofür wird es Zeit?« Jetzt hatte sie Angst, die Warnung ihres Vaters war ihr wieder eingefallen.
    »Nun komme ich dich besuchen«, sagte er. »Um dir zu helfen.«
    »Mir zu helfen? Wobei denn? Wo hast du die Blume gefunden? Die wachsen hier nicht.« Mercy sprach laut. Es war einfach zu viel für sie. Claudius legte sich den Finger an die Lippen.
    »Galatea wird dich hören«, sagte er. »Wir haben nicht viel Zeit.«
    »Weißt du, wer sie war? Dieser Geist?«
    Claudius antwortete mit einer Gegenfrage. »Weißt du, was mit deiner Mutter geschehen ist, Mercy?«
    »Sie ist gestorben«, sagte Mercy. »Als ich noch klein war.« Aber sobald sie dies ausgesprochen hatte, fragte sie sich, ob das wirklich so war. Ihre Mutter war vor langer Zeit gestorben. Es war seltsam, doch an eine Beerdigung konnte sie sich nicht erinnern; und wenn sie nachdachte, dann wusste sie auch nicht, wo das Grab war. Doch sicherlich hier, in der Familienkapelle? Ob sie es suchen sollte? Wer hatte ihr von Theklas Tod erzählt? Hatte sie sich diese Geschichte selbst ausgedacht? Als kindliche Erklärung für die Abwesenheit der Mutter? In ihren Märchen starben Mütter immer. Mercy versuchte, sich zu erinnern – ein Schmerz, den sie lange nicht beachtet hatte, erwachte wieder unter ihren Rippen.
    »Du kannst sie wiedersehen, Mercy«, sagte Claudius sanft.
    »Wie?«, wollte Mercy wissen. »Wo ist sie?«
    Da wurden sie gestört, Schritte waren im Vorraum zu hören. Die Tür ging langsam auf.
    »Sieh dich vor, Mercy«, flüsterte Claudius. »Verstehst du? Vertrau nicht auf das, was sie dir erzählen, dein Vater und Galatea. Glaub ihnen nicht.« Mit diesen Worten glitt er in die Schatten. Er
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