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- Das Haus der kalten Herzen

- Das Haus der kalten Herzen

Titel: - Das Haus der kalten Herzen
Autoren: Sarah Singleton
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verschwand.
    »Mercy?« Galatea stand in der Tür. »Wer ist denn da?«
    »Nur ich«, sagte Mercy. »Die Kerze hat gebrannt. Aber hier ist niemand.«
    Mercy war zu weit von der Gouvernante entfernt, um im Dunkeln ihren Gesichtsausdruck erkennen zu können, aber Galateas Stimme klang schrill, vielleicht sogar ängstlich.
    »Komm mit, Mercy«, sagte sie. »Wir gehen zurück zum Haus. Ich hoffe, du hast ein paar gute Beobachtungen angestellt für deine Zeichnung.« Mit Falkenaugen sah sie sich in der Kirche um, ehe sie die Tür hinter ihnen schloss.
    Sie marschierten nach Hause, die Mädchen mussten sich beeilen, um mit der Gouvernante Schritt zu halten. Später, im Spielzimmer, begann Charity, eine Zeichnung von der Kirche und den Eiben anzufertigen. Sie war eine talentierte Künstlerin, besser als Mercy, obwohl sie jünger war. Mercy versuchte, die Eule zu malen, aber die Gedanken rasten durch ihren Kopf. Wer war Claudius? Warum wollte er ihr helfen? Warum sollte sie ihrem eigenen Vater nicht trauen? Außerdem verwirrte Claudius sie. Der Gedanke behagte ihr nicht, dass er sich in ihr Zimmer gestohlen hatte, während sie schlief. Sein Erscheinen in der Kirche hatte sie überrascht, aber irgendwie war er ihr auch bekannt vorgekommen. Er hatte gewusst, wer sie war und wo er sie finden konnte. Waren sie sich früher schon einmal begegnet, als sie noch ein kleines Kind gewesen war? Vielleicht würde er sie ja noch einmal finden.
    Galatea gefiel Mercys halbherziger Versuch, die Eule zu zeichnen, überhaupt nicht. Sie entließ die Mädchen aus dem Unterricht und zog sich auf ihr Zimmer zurück. Die Schwestern saßen vor dem Feuer zusammen, erschöpft vom Unterricht und dem Spaziergang. Mercy konnte ihre Neuigkeiten kaum für sich behalten.
    »Charity«, sagte sie. »Ich muss dir etwas erzählen, ein Geheimnis.«
    »Ein Geheimnis?« Charitys Augen leuchteten. »Was denn?«
    Mercy biss sich auf die Lippe. Vielleicht war es ja nicht klug, Charity zu erzählen, was geschehen war. Charity war Galateas Liebling und sie war impulsiv. Sie könnte der Gouvernante von Claudius berichten. Aber ein so großes Geheimnis konnte Mercy nicht allein tragen.
    »Ich habe jemanden gesehen – in der Kirche. Einen Mann«, sagte Mercy.
    »Noch ein Geist?«
    »Nein, kein Geist. Aber, Charity, er kam mir so bekannt vor, und je mehr ich darüber nachdenke, desto bekannter kommt er mir vor. Er hat gesagt, sein Name sei Claudius. Und er hat gesagt, er würde uns helfen.«
    Charity runzelte die Stirn. »Helfen? Wobei denn? Wo ist er hingegangen? Galatea hat nichts davon gesagt, dass jemand in der Kirche war, du dumme Liese. Wir sehen doch nie jemanden.«
    »Er ist verschwunden, in dem Moment, als sie hereinkam.«
    Charity scharrte mit den Füßen am Boden. »Ich finde, es klingt, als ob das einer von deinen Geistern gewesen wäre. Wenn du die Einzige warst, die ihn gesehen hat, woher willst du dann wissen, dass er kein Geist war?«
    »Er hat gesagt, er sei keiner. Und außerdem hat es sich auch nicht so angefühlt. Ich merke das. Und eine Kerze hat gebrannt. Galatea hat sie gesehen. Und noch etwas Seltsames: Er wusste von der Frau unter dem Eis. Er hat gesagt, er hat mich zu ihr geschickt, damit ich sie sehe.«
    Charity antwortete nicht. Sie streckte ihre bestrumpften Zehen aus und wackelte damit vor dem Feuer herum.
    »Mercy, das Leben ist doch viel aufregender geworden, nicht?«, sagte sie. »Vater hat mit uns geredet und jetzt dein Mann. Was passiert mit uns? Ich hab das Gefühl, als hätte ich ewig geschlafen. Und jetzt bin ich richtig hungrig.«
    »Mir gefällt das nicht«, sagte Mercy. »Mir gefällt das überhaupt nicht. Und ich will, dass alles wieder so ist, wie es war.«
    Charity zuckte die Achseln. Sie stand auf und hüpfte aus dem Zimmer. Aber Mercy konnte sich nicht entspannen. Ihre Gedanken ließen ihr keine Ruhe, sie konnte einfach nicht begreifen, was geschehen war. Und warum sie versäumt hatte, Charity zu erzählen, was Claudius über ihre Mutter gesagt hatte.

Zwei
    Mercy schlief noch, als sie auf dem Flur vor ihrem Zimmer Lachen hörte. Zuerst konnte sie nicht unterscheiden, ob das Geräusch zu einem Traum gehörte oder echt war. Sie wachte auf, ganz langsam, schwebte nach oben, durch Schleier von trüben grauen Träumen. Das Lachen war wie ein schmales goldenes Banner, das unmittelbar voranflatterte. Sie streckte die Hand aus, aber das Banner war zu weit weg. Hoch, hoch – sie öffnete die Augen und schnappte nach Luft. Der Raum
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